Snobs: Roman (German Edition)
schließen lässt. Die Heuchelei des Ganzen verschlägt einem den Atem, doch die Disziplin, mit der diese Zirkel ihren eisernen Regeln anhängen, verdient einen gewissen Respekt.
Wir hatten wohl getrödelt, da die anderen alle schon auf der Tribüne standen, die sich rasch füllte, und uns zu sich winkten. Ein fernes Geräusch kündigte die Kutschen an, und die Lakaien oder Ordner – oder wie immer sie sich betitelten – eilten zu den Toren, um sie zu öffnen. Edith stupste mich an und nickte Isabel zu, als die erste Kutsche mit Ihrer Majestät und dem dunkelhäutigen Premier eines reichen OPEC-Staats durch die Einfahrt bog. Wie die anderen Männer zog ich in echter Begeisterung den Hut, doch meine Aufmerksamkeit wurde von Isabels Gesicht in den Bann gezogen. Sie hatte den benommenen, entrückten Blick eines Kaninchens vor der Schlange und war in einer trancehaften Verzückung versunken. Um zur königlichen Privatfeier in Ascot geladen zu werden, hätte Isabel einen in die Länge gezogenen Tod in Kauf genommen. Oder ihn zumindest in Erwägung gezogen. Vermutlich ein Beweis, dass die gebildeten Schichten bei aller Verachtung für den gemeinen Starkult genauso empfänglich für derlei Fantasiebilder sind, wenn sie ihnen in genießbarer Form geboten werden.
Eigentlich war das Aufgebot in diesem Jahr etwas enttäuschend. Weder der Prince of Wales war dabei, für Isabel ein Muster der Vollkommenheit, noch einer der anderen Prinzen. Das einzige jüngere Mitglied der königlichen Familie war Zara Phillips, die in einem offenherzigen bunten Strandkleidchen erschien. Edith hatte mir respektlose Bissigkeiten ins Ohr gemurmelt, sehr zum Ärger von Isabel und einer Dame mit blauem Haar, die neben ihr stand; deshalb wandten wir uns zum Gehen, um ihnen den Spaß nicht weiter zu verderben. Da hörte ich direkt hinter mir eine Stimme: »Hallo, so sieht man sich wieder!« Ich drehte mich um und sah mich Auge in Auge mit Charles Broughton. Diesmal gab es keine Verlegenheitspausen wegen der Namen – das Beste an Ascot ist die Auflage, dass im Tribünenbereich jeder ein Namensschild zu tragen hat. Daher finden dort keine zeremoniösen Vorstellungen statt, auch tut keiner so, als kenne man sich bereits. Ein flüchtiger Blick aufs Revers oder die Brustpartie von Unbekannten, und alles ist geritzt. Solche Schildchen sollten bei allen gesellschaftlichen Zusammenkünften ein Muss sein. Auf Charles’ Schildchen stand in der klaren, runden Handschrift der wohlerzogenen jungen Damen, die im Ascot-Büro beschäftigt sind: The Earl Broughton .
»Hallo«, erwiderte ich den Gruß. »Sie erinnern sich an Edith Lavery?« Ich hatte die korrekten Floskeln verwendet, mit denen ein Engländer eine Person vorstellt, wenn er annimmt, der andere hätte sie mit ziemlicher Sicherheit vergessen, doch in diesem Fall hatte ich mich geirrt.
»Selbstverständlich. Sie sind diejenige, von der keine Gefahr droht, da sie in London lebt.«
»Nun, ganz so ungefährlich bin ich hoffentlich auch wieder nicht.« Edith lächelte und nahm Charles’ Arm – auf seine Aufforderung hin oder aus eigener Initiative.
Die Eastons und die Rattrays machten schon Anstalten, sich auf uns zu stürzen, und ich konnte fast das Weiße in ihren Augen sehen, als ich einen Abstecher zum Sattelplatz vorschlug. Es mag hartherzig erscheinen und verrät wahrscheinlich eine tief sitzende Unsicherheit
in mir, doch die arme alte Isabel war mir mit ihrem Übereifer peinlich, und Davids Ehrgeiz bekam in seiner Verbissenheit schon fast etwas Bösartiges. Gnädigerweise nickte Charles – im Übrigen ein sehr höflicher Mensch – Isabel einen Gruß zu, mit dem er sie zwar verabschiedete, aber wenigstens der Tatsache Rechnung trug, dass sie einander vorgestellt worden waren. David blieb zähneknirschend zurück, und wir drei machten uns zur Koppel auf, wo die Pferde vor dem ersten Rennen vorgeführt werden.
Wie vorauszusehen zeigte sich, dass Charles viel von Pferden verstand, und bald plauderte er kenntnisreich über die Fesselgelenke und den Körperbau der Tiere, was mich nicht im Mindesten interessierte; stattdessen amüsierte ich mich über Edith, die mit einer hingerissenen, schmeichelhaften Aufmerksamkeit zu Charles aufblickte, eine Technik, die solchen Frauen anscheinend in die Wiege gelegt wird. Sie trug einen hübschen Hosenanzug in einem zarten Blau, ich glaube, die korrekte Farbbezeichnung ist Eau de Nil, dazu ein kleines, schräg nach vorn in die Stirn gezogenes
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