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Snobs: Roman (German Edition)

Snobs: Roman (German Edition)

Titel: Snobs: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Fellowes
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dachte sie immer mit einer sehr innigen Zuneigung. Sie erinnerte sich, wie er auf andere Autofahrer schimpfte oder im Schlaf pupste, und ein wehmütiges Gefühl von Wärme stieg in ihr auf. Dass er aus ihrem Leben verschwunden war, verschaffte ihr nicht die geringste Erleichterung. Wenn es nur so gewesen wäre! Stattdessen machte sie sich Sorgen wegen seiner Einsamkeit. Der Gedanke, dass er litt, schmerzte sie. Und sie fragte sich immer häufiger, worin eigentlich diese persönliche Erfüllung bestand, deretwegen so vieles hatte zerstört werden müssen? War sie sexueller Natur? Gab sie zu, dass sie alles nur wegen Simons Schwanz hingeworfen hatte? Oder nur aus Langeweile? Falls es so war – langweilte sie sich jetzt, wenn sie in der Ebury Street saß und mit Freundinnen telefonierte oder sich mit ihnen zum Lunch traf, wirklich weniger als in der Zeit, als sie in der Bibliothek in Broughton mit ihren Ausschüssen arbeitete?
    Sie wandte Lancaster House den Rücken zu und ging langsam in
Richtung Wellington Arch, den Buckinghampalast zur Linken. Die königliche Flagge, die die Anwesenheit der Königin in London signalisierte, hing schlaff an ihrem Mast. Touristen lungerten an der Absperrung herum und hielten gebannt Ausschau, als hofften sie, einen Blick auf königliche Hoheiten zu erhaschen, die einen Gang entlangschlenderten oder heraustraten, um frische Luft zu schnappen. Wieder dachte Edith beim Weitergehen über das Geheimnis unverdienter Größe nach. Sie dachte daran, dass Tigger und Googie und Charles alle eine Einladung zum nächsten Hofball bekommen würden, ein Ereignis von unvorstellbarem Glanz für diese Japaner mit den klickenden Kameras oder die Skandinavier mit ihren hässlichen Anoraks, grellen, synthetischen Farbklecksen vor der kühlgrauen, klassizistischen Fassade. Für jeden dieser Menschen wäre eine Einladung in den Palast das Ereignis seines Lebens, das er immer wieder in allen Einzelheiten erzählen würde, doch sie hatte ihre Rolle in diesem Märchen verschmäht, um – um was genau zu sein? Glücklich?
    In letzter Zeit hatte sich Edith zu fragen begonnen, wie viel Erfüllung »persönliches Glück« ihr verschaffen konnte, wenn es das war, was Simon ihr zu bieten hatte. Vielleicht, weil es ihr nie gelungen war, ihr eigenes Glücksstreben und die Werte ihrer Mutter auseinander zu halten, begann sie sich bereits nach dem herrlichen Gefühl der eigenen Wichtigkeit zu sehnen, das sich bei ihrem Leben in Broughton eingestellt hatte. Sie begriff durchaus, dass solche Gefühle nicht gerade schmeichelhaft für sie waren, doch sie verteidigte sich mit ganz pragmatischen Argumenten. Wie sonst konnte sie in den Genuss der guten Dinge des Lebens kommen, wenn nicht durch Heirat? Ihr Glaube an Simons letztlichen Triumph war ins Wanken geraten. Sie wusste jetzt mehr übers Filmgeschäft als damals, als sie sich begegnet waren, und hatte den Eindruck, die Serie, in der er gerade mitspielte und der wohl noch ein paar weitere folgen würden, wäre der Gipfel dessen, was er sich erhoffen konnte. Was immer sie sich gegenseitig vormachten, nie würden sie Händchen haltend in atemloser Spannung bei der Oscarverleihung sitzen. Was für ein Leben hatte sie dann zu erwarten? Ein Häuschen auf dem Land und ein gelegentliches
Interview für eine Boulevardzeitung? Müsste sie wirklich in den nächsten zwanzig Jahren eines mehr oder weniger erfolglosen Schauspielerdaseins verbale und emotionale Unterstützung leisten, um sich als Mensch zu beweisen? Manche mögen der Meinung sein, ein glanzvolles Leben solle ausschließlich durch persönliche Leistung erreichbar sein, aber was ist mit jenen, die kein Talent, keine besondere Fähigkeit besitzen, um sich hervorzutun? Ist es so verwerflich, wenn auch sie zu den vom Glück Gesegneten gehören möchten? Die arme Edith wusste sehr wohl, dass sie über keine besonderen Gaben verfügte, aber sollte es ihr deshalb verboten sein, die Hände nach den Herrlichkeiten dieses Daseins auszustrecken? Sollte sie sich dafür schämen? Sie schüttelte gereizt den Kopf. In ihr stieg insgeheim der Gedanke auf, dass sich trotz der unbekümmerten Wahl, die sie getroffen hatte, ihre Einschätzung der Welt und der Stellung, die sie darin einnehmen sollte, im Grunde nicht geändert hatte. Sie ärgerte sich aufs Neue über die Vorwürfe, die sie von ihren Eltern und Freunden gehört hatte, als sie davongerannt war: dass sie mit ihrem neuen Leben deshalb nicht zurechtkomme, weil unter der

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