Snobs: Roman (German Edition)
äußeren Maske einer Rebellin das Herz von Mrs. Laverys kleinem Mädchen schlage. Und sie ärgerte sich deshalb so darüber, weil sie zu befürchten begann, dass etwas Wahres daran sein könnte.
Sie ging auf den Triumphbogen zu und sah, wie sich die Nachmittagssonne in den Fenstern von Apsley House spiegelte, wo sie und Charles letzten Sommer zu einer Party eingeladen waren, einer der ersten Anlässe, die sie wegen der Trennung hatte absagen müssen. Und sie rief sich erstaunt ins Bewusstsein (es kam ihr inzwischen fast unglaublich vor), dass sie eine hohe Position in der großen Welt über Bord geworfen hatte, um die Gefährtin eines unbekannten Mannes mit einem im Allgemeinen verachteten Beruf zu werden. Und nicht zum ersten Mal setzte sie sich, um über die außerordentlichen Ereignisse des letzten Jahres ausgiebiger nachzudenken.
Als Edith zurückkam, war Simon in der Wohnung. Er trank Tee und sah sich einen alten Film an. Wenn er Arbeit hatte, war er innerlich
ausgeglichen und konnte sich gut entspannen. Nur wenn er kein Engagement hatte, rannte er in ganz London herum, verabredete sich zum Mittagessen mit Leuten, die er nicht ausstehen konnte, und rief alle vier Stunden seine Agentin an.
Edith ließ ihren Mantel in der Diele. »Gibt’s auch eine Tasse für mich?«
Er schwenkte seinen Becher. »Ich hab nur einen Beutel aufgegossen. Das Wasser ist aber noch heiß.« Er hatte seine Sportschuhe ausgezogen und sie achtlos auf den Läufer vor dem Herd geworfen. Sein Mantel lag quer über einem Sessel, im ganzen Zimmer waren Bücher und Manuskripte verstreut. Edith stand an der Tür und nahm die Szenerie wie eine Beobachterin aus einem fremden Land auf. Sofas aus den Sechzigerjahren, mit fleckigem sandfarbenem Tweed bezogen, an den Wänden große, nichtssagende Blumendrucke in farbigen Wechselrahmen, ein Resopal-Sofatisch und ein Gaskaminfeuer. So lebte sie jetzt. Sie hatte nicht den geringsten Wunsch, den Raum zu betreten.
Simon, der ihre Distanziertheit wahrnahm, stand auf und ging zu ihr an die Tür. Er schlang einen Arm um ihre Taille, presste sie an sich und drückte heftig seinen Mund auf den ihren. Am Abend zuvor hatten sie in einem indischen Restaurant gegessen und sie konnte die Gewürze in seinem Atem noch riechen. Er drängte sich an sie und sie spürte, dass er bereits erregt war. »War’s gut beim Lunch?«, fragte er.
Sie nickte. »Googie hat ihn geschickt. Er und Adela waren letztes Wochenende in Sussex. Sie sind auch nach Broughton rübergefahren, und natürlich hat Googie ihn in ihre Höhle verschleppt. Das Treffen war ihre Idee.«
»Und?«
»Sie wollen die Scheidung forcieren.« Sie spürte, wie er zurückzuckte, und machte eine Pause. »Dazu will Googie dich vor Gericht anführen.«
»Du lieber Himmel!« Simon wusste nicht, was er davon halten sollte. Zunächst war er begeistert. Visionen weiterer Bildberichte auf
Seite drei der Daily Mail schossen ihm durch den Kopf, Visionen, an die sich allerdings wie flatternde Papierschlangen auch eine gewisse Panik heftete. Er hatte das Gefühl, als würde er ebenso schwerelos wie machtlos einen Schacht ins Unbekannte hinabtrudeln. »Ist das ihr Ernst?«
»Ich glaube schon, aber du kannst dich beruhigen. Sie irren sich. Ich bin ziemlich sicher, dass heute niemand mehr als Scheidungsgrund zitiert werden muss. Es kommt ihnen nur darauf an, die Sache zu beschleunigen.«
»Was hast du gesagt?«
Edith betrachtete den hübschen Jungen, der vor ihr stand. Seine übliche zwinkernde Koketterie war von ihm abgefallen, und auch wenn er es selbst nicht merkte, machte ihn dies nur noch attraktiver. Der Anflug von Ernst verlieh seinen strahlend blauen Augen und den schimmernden Locken, die ihm nachlässig in die Stirn hingen, einen zusätzlichen Zauber. »Ich habe gesagt, dass ich darüber nachdenken muss.«
»Kannst du sie davon abhalten?«
»Wenn ich will – ja.«
»Wie?«
»Ich sage Charles einfach, er soll die Scheidung nicht vorantreiben.«
Simon lachte. »Und das würde genügen?«
Edith beobachtete ihn kühl. Wie provinziell er doch dachte! Wie wenig er Männer wie Charles verstand! Fast überheblich verteidigte sie ihren abgelegten Ehemann gegenüber ihrem Liebhaber, dem sie den Vorzug gegeben hatte. »Ja, das würde genügen.« Simon lachte nicht mehr, strahlte aber plötzlich etwas aus, was sie auf nicht wiedergutzumachende Weise reizte. Sie hatte nicht die geringste Lust auf das übliche Gerede, wie schlecht alle Schauspieler in allen
Weitere Kostenlose Bücher