Snobs: Roman (German Edition)
ein Schildchen an den Hut gesteckt. Von allen Schnitzern ist das Angebot, jemanden auf dem Land in ein Restaurant auszuführen, vielleicht der schlimmste. Angehörige der englischen Oberschicht verlassen abends in der Regel ihre Herrensitze nicht – und wenn, dann nur, um sich zu den Herrensitzen anderer zu begeben.
Höchstens eine Oper in einem der besagten Herrensitze oder gelegentlich ein Theaterstück mit anschließendem Picknick können sie verlocken; doch wenn sie in einem Restaurant speisen möchten, tun sie dies während der Woche in London. »Schlosshotels« werden unter allen Umständen gemieden, wenn man nicht aus persönlicher Neugier einmal hinpilgert: Man besucht einen solchen Ort eventuell, weil man »immer den Sommer dort verbracht hat, als das Haus noch Tante Ursula gehörte«; doch niemals würde man dort einen Tisch zum Dinner oder gar ein Zimmer fürs Wochenende reservieren. Mit das Traurigste an diesen Häusern ist, dass sich der in den Broschüren versprochene Adel nie bei den Gästen zeigt.
Die Watsons hatten in ihrem Eifer, Lady Uckfields Gunst zu erringen und »Stammgäste« in Broughton zu werden, den sichersten Weg gewählt, um sich bei ihrer Gastgeberin für immer ins Aus zu manövrieren und ihr gleichzeitig einen willkommenen neuen Fundus amüsanter Geschichten zu verschaffen. Für dieses Privileg würden sie viel Geld hinblättern.
Fairburn Hall war ein großes, hässliches Haus auf der anderen Seite von Uckfield. Mehrere Jahrhunderte lang hatte es der alten, wenn auch wenig verdienstvollen Familie der de Marneys gehört, denen schließlich die Baronetwürde verliehen wurde, weil sie ausgerechnet Lloyd George unterstützt hatten, jenen Premier, der für Hitler bewundernde Worte fand. Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, in einer besonders unglücklichen Architekturperiode, hatten die de Marneys ihr tadelloses Queen-Anne-Haus mit einer hässlichen neogotischen Hülle umbauen lassen, die mit Flachreliefs der triumphalen Momente aus der Familienhistorie bestückt wurde. Diese waren offenbar nicht besonders zahlreich gewesen, und folglich gaben nebulöse, durch keine Quelle verbürgte Szenen wie »Gerald de Marney heißt Queen Eleanor auf Fairburn willkommen« oder »Philip de Marney trägt die Fahne in der Schlacht von Edgehill« bei den Broughtons Anlass zu großer Heiterkeit. Ich brauche kaum zu erwähnen, dass die Familien nichts füreinander übrig hatten. Eigentlich waren die de Marneys die ältere Familie und hatten daher ihren Nachbarn
gegenüber immer eine hochmütige Haltung herausgekehrt. Das war schon deshalb lächerlich, weil die Broughtons, ob es den de Marneys gefiel oder nicht, erheblich reicher und ruhmvoller waren als die de Marneys in den letzten drei Jahrhunderten zusammen. Vor wenigen Jahren hatte der gegenwärtige Titelträger, Sir Robert de Marney, den ungleichen Kampf aufgegeben, Fairburn mit einem langen Erbpachtvertrag an eine große »Freizeithotel«-Gruppe verkauft und mit seiner Familie das vier Meilen entfernte Witwenhaus bezogen.
»Meint ihr, wir hätten uns vielleicht Schleier umhängen sollen?«, flüsterte Lady Uckfield, als wir aus den Autos stiegen. Sie wandte sich an mich. »Es war schon immer das hässlichste Haus, das man sich denken kann. Meine Schwiegermutter behauptete steif und fest, dass die Pläne mit dem Bauplan des Gefängnisses von Lewes durcheinander geraten waren.«
Man betrat das Haus durch eine Art geräumigen Wintergarten mit steinernen Flaggen und sonderbaren Fenstergittern, die wohl das Wappen nachbilden sollten, was insgesamt den Eindruck einer pompösen Bank erweckte. Anschließend gelangte man in eine schwerfällige Eingangshalle, in der zahlreiche massive viktorianische Säulen standen. Da man beim Umbau entschieden hatte, die ursprüngliche Deckenhöhe des alten Hauses nicht zu erhöhen, erinnerte die Halle nun an eine Gewölbegruft und man kam sich darin vor wie eine Karyatide. An allen Wänden leuchtete in grellen Farben das Wappen der de Marneys und über dem Kamin mit gasbetriebenem »Holzfeuer« hing, in Gold gerahmt, ein reich verzierter Familienstammbaum. Lady Uckfield studierte ihn mit starrem Blick. »Der falsche Zweig«, sagte sie beglückt.
Ein ungeheuer wichtigtuerischer Oberkellner trat zu uns heran, und da er unsere ganze Gesellschaft nach Bob Watsons nervöser Frage nach der Reservierung beurteilte, setzte er eine sehr überlegene Miene auf, als er uns in den »Salon« führte. Er wurde umgehend eines
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