Snobs: Roman (German Edition)
Fronten formierten sich.
Das Essen war, wie vorauszusehen, prätentiös, an so gut wie jedem Tisch loderte ein kleines Feuer. Mit viel Zeremoniell servierten pseudofranzösische Kellner in ebenso bedeutungs- wie geschmackloser Abfolge unzulängliche Portionen, deren Garnitur an die Dekorationen von Damenhüten erinnerte. Der Oberkellner verließ uns gar nicht mehr und eilte ständig an den Tisch, um unsere Meinung zum momentanen Gang einzuholen, bis ihm Simon schließlich vorschlug, er könne sich doch zu uns setzen, um sich einiges an Mühe zu ersparen. Natürlich lachten wir alle und natürlich ward der Mann nicht mehr gesehen. Dennoch war das Essen dank Simon noch der am wenigsten schreckliche Teil des Abends. Sein Witz lief zur Bestform auf. Er hatte Gleichwertiges zu Annettes Geschichten zu bieten, ohne mit ihr in Wettstreit zu treten, und zusammen hielten die beiden das Gespräch in Fluss. Sogar Lady Uckfield ließ sich von der allgemeinen Fröhlichkeit anstecken und kicherte, während sie in ihren unbefriedigenden und teuren Gerichten stocherte.
Für Charles dagegen war mehr oder weniger die gesamte Konversation die Hölle. Er war nicht schnell genug, so dass ihm bei den meisten Anekdoten die Pointe entging, von aktiven Beiträgen ganz zu schweigen. Diese Leute lagen ihm nicht und waren zudem noch in der Überzahl, eine ungewöhnliche Situation für ihn (einer solchen Gefahr setzte er sich nur selten aus). Anders als sein Vater flirtete er nicht gern, anders als seine Mutter hatte er wenig Sinn für Humor. Caroline versuchte ein-, zweimal, ihm zu Hilfe zu eilen, doch sie war selbst in finsterer Stimmung; schließlich war es Adela, die ihn zum Reden brachte – über die Verbesserung der Jagdbedingungen in Feltham. Offenbar hatte er nach langer Unterbrechung erst vor drei Jahren begonnen, dort wieder zu jagen, und bei dem Thema kam sein angestauter Redefluss in Gang, leider wieder nur mit begrenztem Erfolg. Denn als Simon eine Geschichte über eine Produktion erzählte, bei der der Inspizient die Badewanne anstatt mit kaltem mit
kochend heißem Wasser hatte füllen lassen, und vor der Pointe eine Kunstpause machte, platzte Charles mitten in die Stille hinein: »Das Beste ist, wenn man einen genügend breiten Landstreifen mit Grünkohl stehen lässt, wogegen sich natürlich manche Bauern sträuben …«
Simon lachte. »Na, Charles ist offensichtlich fasziniert«, sagte er. Das war, wie ich glaube, nicht bös gemeint, und alle wären wohl darüber hinweggegangen, wenn Edith nicht in diesem Moment losgepoltert hätte: »Charles, jetzt hör doch um Gottes willen mit deiner verdammten Jagd auf.«
Auch das war wohl irgendwie witzig gemeint, und Edith dachte, dass wir alle lächeln würden, aber es kam falsch heraus. Ihre harte, lieblose Stimme in Gegenwart von Charles’ Eltern erzeugte ein seltsames, peinliches Schaudern am Tisch. Annette suchte Bobs Blick und Adela stieß meinen Fuß an.
Charles sah hoch, er war mehr verletzt als verärgert, wie ein Hündchen, das wegen der Pinkellache eines anderen Hundes einen Klaps bekommen hat. »Bin ich sehr langweilig?«, fragte er.
Nach einer kleinen Pause antwortete Eric im Glauben, amüsant zu sein, wahrscheinlicher jedoch einfach aus Unfreundlichkeit: »Ja, das bist du. Trink lieber noch was.« Er machte sich daran, Charles Weinglas wieder aufzufüllen, doch Charles schüttelte den Kopf.
»Ich weiß auch nicht, warum, aber ich bin furchtbar müde.« Er sah Bob gequält an. »Können Sie mir verzeihen, wenn ich den Kaffee überspringe und nach Hause fahre?«
Bob wusste bereits lange bevor er die Kreditkarte zückte, dass der Abend eine fürchterliche Pleite war, und so schüttelte er heiter den Kopf. »Aber selbstverständlich! Fahren Sie nur. Das ist völlig in Ordnung.«
Charles lächelte schwach und erhob sich. »Dann breche ich auf, wenn ich darf. Wir haben jede Menge Autos hier, nicht wahr? Macht es dir etwas aus, Liebling?«
Für alle Anwesenden war es klar, dass Edith jetzt aufspringen und verkünden müsste, dass auch sie müde sei, und ihren Mann zu begleiten
hätte. Das hätte sie unter normalen Umständen auch getan, doch an diesem Abend ritt sie der Teufel. Oder die nackte Lust. Jedenfalls rührte sie sich nicht von der Stelle und sagte keinen Ton, und schließlich war es Simons Stimme, die die Stille durchschnitt: »Machen Sie sich keine Sorgen wegen Edith. Ich bringe sie nach Hause.«
Charles sah ihn an, und eine Sekunde lang maßen sie einander
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