Snobs: Roman (German Edition)
mit Blicken. Charles war reich, besaß einen Titel und sah mit seinem Dreißigerjahrelook wirklich nicht schlecht aus, so dass man meinen könnte, er hielte alle Trümpfe in der Hand, was langfristig ja auch zutraf, doch Simon Russell fühlte sich erfolgreich, voller Energie und so attraktiv, wie es ein Mann nur sein kann, und an diesem Abend strotzte er vor Charisma und Selbstsicherheit; es ging ein regelrechtes Leuchten von ihm aus. Für alle Zuschauer am Tisch verblasste Charles neben ihm, und zumindest ich empfand echtes Mitleid mit diesem Mann, der alles hatte. Rückblickend sehe ich natürlich, dass Simon das Selbstbewusstsein eines verliebten Mannes ausstrahlte, dessen Liebe erwidert wird, und Charles dagegen Angst hatte, bald vor einem Trümmerhaufen zu stehen. Doch sogar ohne dieses Wissen sah Russell mit seiner blassblauen Samtjacke, seinen glänzenden Augen und Haaren aus wie einem mythologischen Gemälde entsprungen, die Verkörperung einer unbesiegbaren Kraft. Ich sage dies, damit das Urteil über Edith milder und versöhnlicher ausfallen mag. Lady Uckfield ließ die Szene kurz auf sich wirken und ergriff dann das Wort.
»Das ist sehr liebenswürdig von Ihnen, Mr. Russell. Sind Sie sicher?« Um die merkwürdige Stimmung weiter zu vertreiben, erhob sie sich und zwang damit alle, ebenfalls aufzustehen. »Führe ich die Damen hinaus? Oder gehen wir alle zusammen – wie ist das hier in diesem Haus?«
Sogar in diesem kritischen Moment, als sie stilvoll das Gesicht wahrte, konnte sie sich den Hinweis nicht verkneifen, dass sie diese Lokalität wahrhaft außerordentlich fand und somit wohl nicht den normalen Regeln ihres Daseins unterworfen. Ich habe bereits gesagt,
dass ich Lady Uckfield bewundern gelernt habe, und dies war einer der Momente, der mich in meiner hohen Meinung von ihr bestärkte. Sie hatte mit angesehen, wie ihr Sohn bloßgestellt wurde, wie seine Frau ihn fallen ließ, und war sich der Gefahr bewusst, die mit Simons Angebot in der Luft lag, und dennoch hätte sie sich um nichts auf der Welt etwas anmerken lassen. Sie hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als den Eindruck zu erwecken, dass sie es für eine schlechte Idee hielt, wenn Edith allein mit Simon im Dunkeln nach Hause fuhr. Dennoch hätte sie auf der Stelle hunderttausend Pfund hingeblättert, wenn sie Russell damit für immer und ewig aus ihrem Blickfeld hätte verschwinden lassen können. Hätte Edith nur die Selbstbeherrschung ihrer Schwiegermutter besessen – es wäre nie zum Skandal gekommen, weder jetzt noch später.
Nach unserer Rückkehr in den hässlichen Salon winkte mich Lady Uckfield an ihre Seite. Falls sie innere Unruhe verspürte, verriet sie dies nicht mit dem leisesten Wimpernzucken. »Lassen Sie mich Ihnen zu Ihrer Wahl gratulieren.«
»Dann nehme ich an, Sie sind erfreut darüber.«
»Nun, als Ihre Freundin bin ich erfreut, doch als Gastgeberin bin ich wütend .« Ich lächelte, weil sie durchaus die Wahrheit sagte. Sie vergab mir die Unannehmlichkeiten, die ihr der Wegfall eines Junggesellen bereitete, nur wegen meiner vortrefflichen Wahl. »Wann werden Sie heiraten?« Ich erklärte, dass ich zwar jeden Grund zur Annahme hätte, meine Werbung würde erfolgreich sein, doch die Sache sei noch nicht endgültig entschieden und es werde noch fünf, sechs Monate dauern.
»Und was ist mit Kindern? Haben Sie daran gedacht? Ich bin eine alte Frau und darf so etwas fragen.«
Ich zuckte mit den Achseln. »Das weiß ich nicht so genau. Wir wollen beide welche, aber die Entscheidung über den Zeitpunkt ist wohl eher Sache der Frau, nicht wahr? Schließlich ist mein Part dabei sehr einfach.«
Lady Uckfield lachte. »Durchaus. Aber warten Sie nicht zu lange. Ich hoffe, Charles und Edith tun es auch nicht.« Bei diesen Worten
sah sie mich scharf an, denn wir wussten beide, dass sie bereits zu lange gewartet hatten. Wenn Edith sich jetzt um einen kleinen Blondschopf im Kinderzimmer kümmern müsste oder auch nur schwanger wäre, dann würde keiner der drohenden Alpträume wahr werden.
»Da bin ich ganz Ihrer Meinung«, sagte ich.
13
Als Simon das Angebot machte, Edith nach Hause zu begleiten, hatte ich mich gefragt, ob sein Plan nicht durchkreuzt würde, weil er andere ebenfalls mitnehmen müsste, doch sobald ich mit Adela aus dem Haus trat, sah ich, dass das nicht der Fall sein würde: Der ganze Rücksitz seines Autos war mit zwei Stühlen und diversen Utensilien, die aussahen wie Gartengeräte, verbarrikadiert.
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