Snobs: Roman (German Edition)
geschlossen, hinter ihren feuchten und leicht geöffneten Lippen sah er im Dunkeln gerade noch ihre weißen Zähne. Auch er war erregt, doch nicht ganz auf die gleiche Weise. Er hatte im Lauf der Jahre mit vielen hübschen Frauen geschlafen, und es war nicht der Gedanke an kommende sexuelle Genüsse, der ihn in Fahrt brachte, sondern die Gewissheit, dass sie sich sexuell von ihm angezogen fühlte.
Er war sich seiner eigenen Schönheit eindringlich bewusst. Mehr noch, er respektierte und genoss sie ungemein, da er sie zu Recht als das Zentrum seiner Macht empfand. Sein ganzer unwiderstehlicher Charme beruhte auf nichts anderem. Er hatte das Bedürfnis, jedem, ob Freund oder Feind, Mann oder Frau, eine Bestätigung seiner körperlichen Anziehungskraft zu entlocken. Nur so, im warmen Glanz der Bewunderung anderer, konnte er sich entspannen und glücklich sein. Je bedrohlicher die Situation, desto größer die Notwendigkeit, sich begehrenswert und körperlich begehrt zu fühlen. Simon verbrachte sein Leben damit, mit glühenden Blicken um sich zu werfen, geheimnisvoll zu lachen und Fremden zuzuzwinkern, nur um sich
seiner Macht immer wieder zu vergewissern. Man braucht nicht eigens zu erwähnen, dass er einen ganzen Tross Verwundeter hinter sich ließ, die Wochen oder sogar Monate auf seine eindeutigen Signale von sexuellem Interesse und Verliebtheit reagiert hatten und nach ihrer Kapitulation entdecken mussten, dass er ihre Liebe genauso wenig benötigte wie die der Bäume auf der Wiese.
Auf seiner Suche nach ständiger Bestätigung strengte er sich nicht besonders an. Er erwartete einfach, dass sein gutes Aussehen alle überwältigte, auch wenn ihm manchmal flüchtig dämmerte, dass dies nicht das Verhalten einer selbstsicheren Persönlichkeit war. Weil er nicht an seine anderen Qualitäten glaubte, war seine Eitelkeit eng mit einer gewissen Bescheidenheit verknüpft. Er hatte keine große Meinung von seinen geistigen Fähigkeiten, und trotz aller Großspurigkeit, mit der er auftrat, wusste er, dass er in Gesellschaft sehr unbeholfen sein konnte. Bei dieser Seelenverfassung war es wahrscheinlich unvermeidlich, dass ihn seine bürgerlichen Wunschvorstellungen in Verbindung mit seinem zwanghaften Drang, Begehren zu wecken, schließlich zu Edith führten. Wobei eine gewisse Ironie darin bestand, dass sie in ihm eine Fluchtmöglichkeit aus dem Leben in Broughton sah, während er sie im Gegenteil als Eintrittskarte dazu betrachtete. Im momentanen Stadium jedoch blieben ihnen diese Wahrheiten noch verborgen. Sie waren einfach berauscht voneinander.
Begehren, jener Zustand, der allgemein unter der Bezeichnung »Verliebtheit« läuft, ist eine Art Verrücktheit. Eine bemerkenswert verzerrte Sicht der Wirklichkeit, die uns in die Lage mit dem nötigen Einfühlungsvermögen ausstatten sollte, um Verständnis auch für die anderen Formen des Wahnsinns aufzubringen. Doch wie wir alle wissen, ist diese Verrücktheit, so stark sie wüten mag, selten, wenn überhaupt, je von Dauer. Noch weicht sie – entgegen der allgemein beliebten Ansicht – einer »tieferen und bedeutungsvolleren Liebe«. Natürlich gibt es Ausnahmen. Manche Ehepartner »lieben« ihr Leben lang. Meist aber tritt an Stelle der Verliebtheit bei Paaren, die wirklich harmonieren, eine herzliche gegenseitige Freundschaft, die durch körperliche Anziehung bereichert wird. Passen die Partner schlecht zueinander,
verblasst sie einfach zu Langeweile oder, wenn die beiden dummerweise inzwischen geheiratet haben, zu dumpfem Hass. Es ist ein ewiges Paradox, dass wir in der Flammenhitze zwar dem Wahnsinn nahe sind und leiden, aber nur wenige von uns froh sind, wenn die Leidenschaft verfliegt. Und wenn wir dem Objekt unseres Begehrens, das uns einmal durch Jahreszeiten und sogar Jahre hindurch tiefe Wunden schlug, dessen Stimme am Telefon ganze Schmetterlingsschwärme aufflattern ließ, dessen flüchtigster Blick die sexuellen Saiten in uns heftigst zum Vibrieren brachte – wenn wir diesem Objekt später wieder begegnen, dann suchen wir meist vergeblich nach der alten Anziehungskraft, die dieses Gesicht einmal auf uns ausgeübt hat. Nachdem wir bittere, elende Tränen über eine gescheiterte Liebe vergossen haben, sind wir enttäuscht, wenn wir bei einem Wiedersehen mit der angebeteten Person entdecken müssen, dass jede Spur ihrer einstigen Macht über uns dahin ist! Wie oft haben wir die befreiende Erkenntnis von uns weggeschoben, dass uns unsere große Liebe auf die
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