Snow Angel
großen Rucksack bei sich, der anscheinend schon ganz gut befüllt war.“
„Du bist hin und hast ihn zur Rede gestellt?“, fragt Nina.
„Nein. Ich habe ihn nur beobachtet. Der Wald gilt nun mal per Gesetz als Erholungsgebiet für jedermann. Und da es kein Privatwald ist, kann da im Grunde rumtoben, wer will. Ich habe kein Hausrecht. Hätte ihn also noch nicht einmal verscheuchen dürfen. Früher kam es durch Wilderer oft zu Förstermorden. Das ist heute selten geworden. Dennoch ist die Wilderei ja verboten. Und die Typen, die sich so ein Zubrot verdienen, sind selten besonders zimperlich. Man sollte schon auf der Hut sein. Bewaffnet war ich auch nicht an dem Abend. Außerdem alleine. Selbst wenn ich ihn beim Fallenleeren ertappt hätte, ohne Zeugen bist du in solchen Situationen absolut der Dumme.“
„Aber wie kam es dann zu der Verletzung?“
„Tja, das fällt wohl in die Kategorie 'blöd gelaufen'! Er musste unweigerlich an meinem Hochsitz vorbei. Ich versuchte ganz vorsichtig, mich etwas vorzulehnen, um ihn erkennen zu können. Das gab ein deutlich vernehmbares Geräusch. Er hat nicht lange gefackelt. Mir schien, er war plötzlich in totaler Panik, als er merkte, dass er womöglich nicht allein war. Zwei Schüsse hat er abgefeuert. Und ist abgehauen, als wäre der Teufel hinter ihm her.“
„Und?“ Nina hält sich vor Schreck die Hand vor den Mund.
„Ein Projektil steckte im Holz. Das andere in meinem Knie.“
„Scheiße! Was hast du dann gemacht?“
„Mir ist schlecht geworden!“
„Wundert mich gar nicht. Und dann?“
„Dann habe ich 110 angerufen. Besser war das. Und bin in der Klinik gelandet. Das Ergebnis siehst du ja hier“, erklärt Simon. „Ich kann wirklich von Glück reden, dass ich ausgerechnet an dieser Stelle Empfang hatte. Sehr weit wäre ich wohl mit dem Knie nicht gekommen.“
„Ah, jetzt sehe ich. Daher wusstest du gestern so genau, wo wir es mit dem Telefonieren versuchen konnten. Aber sag mal, hast du ihn denn erkennen können?“
„Nicht wirklich, dazu war es schon zu dunkel. Ich konnte nicht sehr viele nützliche Angaben machen. Er ist nicht sehr groß, eher mager, und ich meine, einen grauen Schnauzbart gesehen zu haben. Das Einzige, was wir sicher wissen ist, dass die Patrone von einer Kaliber 22 stammt. Aber auch das ist nichts Ungewöhnliches. Diese Kleinkaliber sind weit verbreitet. Und sehr beliebt bei Wilderern sowieso. Die packen sich da einen Schalldämpfer drauf. Dann sind die Schüsse fast gar nicht zu hören. Kleine Dinger, gut zu verstecken im Mantel oder Rucksack.“
„Hm. Ist er dir denn später noch mal begegnet?“
„Nein, lange hat er sich hier im Forst nicht blicken lassen. Aber die Falle, die ich gestern gefunden habe, ist seine Marke. Die Dinger bekommst du natürlich überall, nur die Art, wie er sie festmacht, damit das Wild damit nicht abhauen kann, die ist typisch für ihn. Er befestigt die nämlich immer mit einer Kette am nächstgelegenen Baum. Und die Kette bindet er mit einem Stück Schnur und einem ganz bestimmten Knoten zu.“
„Was kannst du tun, wenn du ihn zu fassen bekommst?“
„Ich kann ihn nur festsetzen und zusehen, dass ich die Polizei rufe. Wie schwierig das hier oben ist, weißt du selbst. Und wenn es keine absolut eindeutigen Beweise gegen ihn gibt, mache ich mich der Freiheitsberaubung schuldig. Auf dieses Risiko würde ich es allerdings beim nächsten Mal ankommen lassen. Nach der neuen Sache gestern hätte ich offen gestanden nicht übel Lust, ihn mit den Eiern an den nächsten Baum zu nageln und mal eine seiner Fallen zuschnappen zu lassen.“
„Autsch ...“ Nina verzieht bei der Vorstellung schmerzhaft das Gesicht.
„Ja, autsch! Täte dem Arsch wirklich gut.“
Nina nickt überzeugt und kommt im nächsten Moment ins Grübeln. „Du, weißt du was? Ich habe ja ein echtes Problem.“
„Ich weiß, mich!“
„Manno, sei nicht immer so überheblich“, schimpft Nina. „Nein, ganz im Ernst. Ich muss hier morgen weg. Montag muss ich um acht in der Schule sitzen!“
„Hast du keine Ferien? Wie konntest du dann Donnerstagabend hier rein-engeln?“ Simon wirkt sehr enttäuscht.
„Freitag waren Zeugnisferien! Ein paar Monate habe ich noch, dann bin ich frei“, antwortet sie lächelnd.
„Stimmt ja! Das ist bei mir schon so lange her.“
„Sollten wir nicht mal klären, ob wir vielleicht mit dem Auto runterkommen? Sonst müsste ich mich früh genug auf
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