Snow Angel
ist, den Weg zu nehmen oder doch die Loipenspur. Du hast ja immerhin ein Auto da unten stehen und könntest Ben und mich dann in die Stadt mitnehmen, nicht? Ich sollte nur mal nachsehen, wie lange wir auf der Straße wandern müssten, um zum Parkplatz zu kommen“, überlegt Simon und beginnt, nach der Landkarte zu suchen.
Vorläufig wird er nicht fündig und beschließt ordentlicher zu werden.
„Wir haben doch noch Zeit“, beruhigt ihn Nina, „komm, Tee ist fertig.“
Sie gönnen sich eine halbe Stunde Ruhe auf der winzigen Terrasse an der Südseite der Hütte. Simon raucht eine Pfeife, Nina hat es sich in einem hölzernen Hochlehnstuhl gemütlich gemacht und lässt sich mit geschlossenen Augen die pralle Mittagssonne auf die Nase scheinen. Der Sturm hat sich im Laufe des Vormittags gelegt und der Himmel ist wolkenlos blau. Nur ein paar weiße Kondensstreifen zerfasern langsam in der klaren Luft. Richtig warm wird es hier an diesem geschützten Plätzchen. Sie genießen es, in wortlosem Einverständnis die Seele baumeln zu lassen.
Fast gleichzeitig stehen sie auf, müssen beide lachen über diese kleine Einigkeit und Simon bittet:
„Kannst du dir vielleicht den Rucksack mit Kastanien und Mais auf den Rücken schnallen? Sind nur ein paar Kilo. Die Viecher finden ja jetzt nichts mehr. Ich müsste zwei Ballen Heu mitnehmen. Das wäre zu schwer für dich.“
„Kein Problem.“
„Dann gebe ich dir aber besser eine Jacke. Ich habe eine, die dir passt. Sonst scheuerst du dir den Overall mit den Traggurten an den Schultern ab. Wäre schade um das gute Stück.“
„Wie umsichtig von dir!“ Nina ist ehrlich erstaunt als sie sich umziehen geht.
Nicht sehr gerne schlüpft sie in die geliehenen Sachen. Aber er hat ja recht.
Wieder begegnet Simon ihr mit diesem seltsamen Blick, den sie nicht einschätzen kann, wendet sich ruckartig zu seinem verschlossenen Waffenschrank um, nimmt eine kleine Fangschuss-Waffe heraus und steckt sie sich ins Halfter. Als er sich wieder umdreht, haben sich seine Züge entspannt. Ninas fühlt eine heiße Welle der Ungeduld in sich aufsteigen. Sie will nicht mehr warten und die Frage, die sie seit gestern umtreibt, muss heraus. „Simon! Was ist? Wessen Klamotten hast du mir gegeben? Da steht doch jemand zwischen uns!“
Die Antwort trifft sie mit präziser Brutalität. „Das geht dich nichts an!“
Sie macht auf dem Absatz kehrt, stürzt zur Tür und wirft sie mit Schwung hinter sich zu. Er soll nicht sehen, wie ihr die Tränen laufen.
Verdammt, ich war noch sie so verliebt! Er ist mir so nah gekommen und ich habe es zugelassen. Aber mich lässt er nicht an sich heran. Was ist da bloß? Was verbirgt er vor mir? Warum schließt er mich so aus? Nimmt er mich doch nur, weil ich ihm vor die Füße gefallen bin? Als netten Zeitvertreib, weil gerade keine andere Frau verfügbar ist? Es tut so weh!
Sie läuft ein Stück in den Wald, lehnt sich an einen Baum und heult. Es dauert nicht lange, bis Ben mit lautem Gebell angesetzt kommt und an ihr hochspringt. Nina kniet sich hin, nimmt den jungen Hund in beide Arme und weint ihm das Fell nass. Ben hält ganz still. Beide bemerken gar nicht, dass Simon längst hinter ihnen steht. Zwei schwere Heuballen in den Händen, den Rucksack umgeschnallt.
„Nina, ich kann dir dazu nichts sagen. Noch nicht! Bitte verzeih mir. Die Zeit ist noch nicht reif. Ich weiß, ich bin selber schuld. Ich hätte dich lieber nackt laufen lassen sollen, als dir diese Sachen zu geben. Gib mir Zeit. Bitte!“
„Soll ich mich umziehen gehen?“, schnieft sie.
„Ach was!“
Nina sieht in seinen Augen die Bitte um Verzeihung, zu der sie sich noch nicht geäußert hat. Er wartet auf eine Antwort. Sie wischt sich die letzten Tränen mit dem Handrücken fort, krault nervös Ben, der mit schief gelegtem Kopf, ein Spiegelbild des Ausdrucks seines Herrn, neben ihr steht.
„Okay, Jungs“, lächelt sie, „lassen wir das Drama. Heulen macht sowieso bloß hässlich. Ich werde warten, Simon. Aber sobald wir zurück sind, werde ich wirklich lieber nackt herumlaufen, als so.“ Sie schaut an sich herunter.
Simon nimmt sie in die Arme und hält sie. Lange. Ganz still. Sie fühlt seine Wärme, seine Stärke. Und sie spürt seine Verletzlichkeit, die er ständig sorgfältig zu verbergen sucht.
„Danke, Nina! Irgendwann wirst du verstehen.“
Sie löst sich von ihm. „Gib mir meine Bürde. Besser zehn Zentner Mais als ein trauriger
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