Snow Angel
das kann nicht sein, nicht Simon!
Mit zitternden Händen hält sie die Seiten und beginnt, den dazugehörigen Leitartikel zu lesen. Zunächst überfliegt sie ihn nur. Sie weiß nicht genau, was sie sucht, aber sie wird in diesem Moment das Gefühl nicht los, dass es Zusammenhänge mit Simon geben muss.
Und Nina findet Zusammenhänge! Sie fühlt sich, als hätte ihr jemand mit der Faust in den Magen geschlagen.
Mein Gott, es ist seine Geschichte!
Die Buchstaben verschwimmen vor ihren Augen, als die Tränen aufzusteigen beginnen. Damals war die Sache eine viel diskutierte Sensation gewesen und ihr dennoch nicht wirklich nahe gegangen. Ein klassisches „Problem anderer Leute“ eben.
Nun erkennt sie, was hinter dem steckt, was er nicht mit ihr bereden will, was sicher verschlossen hinter der gut gehüteten Fassade schlummert. Fest eingemauert und ganz offenbar unverarbeitet.
Es ist kein Problem anderer Leute, es ist sein Problem! Und wenn es sein Problem ist, ist es jetzt auch meins.
Sie folgt ihrem ersten Impuls.
Raus aus diesen Klamotten! Es ist doch kein Wunder, dass alles wieder in ihm hochkommt, wenn er mich darin sieht. Sie ist ein ganz ähnlicher Typ wie ich. Wie schrecklich muss das für ihn sein.
Binnen Sekunden steht Nina nackt vor dem Kamin. Das kleine, bedeutungsvolle Häufchen Kleidungsstücke neben sich auf dem Fußboden. Mit fahrigen Bewegungen rafft sie es zusammen, öffnet den wuchtigen alten Kleiderschrank, stopft alles blindlings hinein und verschließt fest die Tür. Hilflos lehnt sie die Stirn gegen das blanke Holz. Ungeordnete Gedanken schießen ihr durch den Kopf.
Ich muss mit ihm reden. Sofort wenn er wiederkommt!
Es klopft vernehmbar an der Tür. Nina schreckt zusammen.
Hastig stapelt sie die Zeitungen, steckt sie unter den Tisch, schiebt mit dem Fuß noch einmal nach, wischt mit dem Handrücken die Tränen von den Wangen. Das zweite Klopfen ist ungeduldig. Es bleibt ihr keine Zeit, sich anzuziehen.
„Simon?“
„Ja, verdammt! Mach auf!“
Eilig öffnet sie die Tür. Ben schießt an ihr vorbei und begrüßt schwanzwedelnd seinen Herrn. Nina ist zutiefst erleichtert, dass er unversehrt vor ihr steht. Gleichzeitig wird sie sich bewusst, welchen Anblick sie bietet.
Simon bringt nur ein irritiertes „Oh“ heraus.
Nina schlingt sich die Arme um den Leib. Schon wieder hat es zu schneien begonnen und er hat eine Eiseskälte hereingebracht. Ohne ihn zu begrüßen, verschwindet sie im Schlafzimmer, holt sich den riesigen Bademantel und es gelingt ihr, sich zumindest so weit zusammenzureißen, dass sie ihm gegenübertreten kann. Im Moment ist sie dankbar, dass er ganz offenbar gerade in einem völlig anderen Film unterwegs ist und sie gar nicht richtig ansieht. Ehe sie überhaupt etwas sagen kann, poltert er schon los.
„Vier von den Scheißdingern habe ich noch gefunden. Alle gar nicht weit entfernt von der Fütterungsstelle. Es war jetzt zu dunkel, noch im weiteren Umkreis zu suchen. Und du siehst ja, es schneit schon wieder. Seine Spuren werden jeden Tag hübsch wieder zugedeckt. Ich sollte mich unbedingt schleunigst mit der Kreisjägerschaft in Verbindung setzen. Diesem Arsch müssen wir endlich das Handwerk legen“, erklärt er wütend.
„Bist du ihm also Gott sei Dank nicht wieder begegnet!“
„Ich wüsste ehrlich gesagt nicht mehr sicher, ob ich mich noch richtig im Griff hätte, wenn ich jetzt auf ihn treffen würde“, bekennt er. „Ich kann nicht ewig hier oben sein und muss die Fütterung sowieso bald jemandem anderen übertragen. Und ich darf ganz sicher von niemandem erwarten, dass er den ganzen Tag damit zubringt, wieder wegzuräumen, was der Typ auslegt. Es muss eine Lösung her. So geht das nicht weiter!“
Nina fällt es schwer, nicht sofort mit dem herauszuplatzen, was sie mit ihm besprechen will. Simon ist derart in Rage, dass er nicht einmal ihre rotgeweinten Augen bemerkt.
Nein, so geht das nicht weiter! Wenn er wüsste, wofür ich gerade eine Lösung suche …
Die Hände in den großen Taschen des Bademantels krampfhaft zu Fäusten geballt, spürt sie, wie sich ihre Nägel schmerzhaft in die Handflächen drücken. Sie geht zum Herd um Teewasser aufzusetzen, froh, ihm für einen Augenblick den Rücken zukehren zu können und hofft, dass ihre Stimme halbwegs fest klingt, als sie ihm zustimmt. „Ich halte es für eine sehr gute Idee, nicht weiter zu versuchen, allein dagegen anzugehen. Es scheint, als wäre es doch sinnvoll,
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