Snow Angel
Mann.“
Es ist nicht der abgenommene Rucksack, der ihm Erleichterung verschafft. Es ist die Geduld, die sie ihm so offenkundig entgegenbringt. Sie strahlt für ihn heller als der Sonnenschein, der mit aller Kraft den wolkenlosen Nachmittagshimmel leuchten lässt. Ben läuft flott voran. Er kennt den Weg. Zweimal muss Simon ihn zurückpfeifen, als er Fährten aufgespürt hat und versucht, ihnen in voll erwachtem Jagdeifer zu folgen. Nur ungern lässt er sich abhalten.
Die Wildspuren werden mehr und mehr, je näher sie der Futterstelle kommen. Noch ist die Dämmerung längst nicht eingebrochen und die beiden können die Raufen und Tröge füllen, ohne das Wild zu stören.
„Gestern war es schon zu spät“, erklärt Simon, „da habe ich sie verscheucht. Wenn sie flüchten müssen, verlieren sie viel zu viele Kalorien, die sie in diesen saukalten Nächten jetzt brauchen, um nicht zu erfrieren. Gut, dass wir heute früher dran sind.“
„Na, jetzt können sie sich ja satt fressen“, antwortet Nina mit einem zufriedenen Blick auf die einladenden Futtertische.
*
Ihm gefällt das Leuchten in ihren Augen. Und der Ausdruck, mit dem sie das sagt. Einen Moment lang stellt er sich Lizzy hier im Wald vor und kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Abgesehen davon, dass sie es grundsätzlich vorzieht, sicheren Boden unter den Füßen zu haben, der dem eleganten Schreiten in schwindelerregend hohen Absätzen keine Hindernisse beschert, hat sie sowieso wenig Spaß an Bewegung und frischer Luft.
Zu Ben hat sie überhaupt keinen Bezug. Seine Bedürfnisse empfindet sie lediglich als störend. Niemals würde sie auch nur erkennen können, ob der Hund hungrig oder durstig ist. Der glückliche Ausdruck auf Ninas Gesicht, voll offensichtlicher Freude über den reich gedeckten Tisch im Wald, würde an Lizzy genau so wirken wie ein Monokel im Kakao: deplatziert!
Lizzy sieht niemals glücklich aus. Vielleicht bestenfalls amüsiert. Oder erfreut.
Er fragt sich, warum ihm das eigentlich all die Monate, die er sie an seiner Seite gehabt hat, nie störend aufgefallen ist. Wie weit er sich tatsächlich von seiner „halben“ Freundin entfernt hat, wird ihm in diesem Augenblick bewusst. Simon nimmt sich vor, zumindest in dieser Sache schleunigst für klare Verhältnisse zu sorgen. Was alles andere angeht …
*
Nina hat sich auf einen Baumstumpf gesetzt. Mit geschlossenen Augen streckt sie das Gesicht der Sonne entgegen, kostet die friedliche Stimmung auf der kleinen Lichtung aus. Leise ist Simon von hinten an sie herangetreten. Sie bemerkt ihn, streckt die Arme nach ihm aus, faltet die Hände um seinen Nacken, lehnt sich an. Sacht setzt er einen Kuss auf ihre Stirn, hält sie bei den Schultern.
„Bleib noch ein bisschen hier sitzen. Ich lasse Ben bei dir und sehe mich noch ein wenig um, ob ich Spuren von unserem speziellen Freund finde. Okay?“
Sie reckt sich wohlig, nickt nur, nimmt Ben zwischen die Knie und will sich gar nicht stören lassen.
Es dauert nur Minuten, bis sie seine eiligen Schritte aus dem Unterholz zurückkommen hört. Mit stinksauerem Gesichtsausdruck hält er ihr zwei Schlagfallen vor die Nase.
„Sieh dir das an! Und ich bin sicher, da sind noch mehr. Ich bringe dich jetzt mit Ben runter in die Hütte und mache mich noch mal auf die Suche. Er wird es nicht bei diesen beiden belassen haben.“
„Ich kann auch alleine ...“, beginnt sie.
„Unter gar keinen Umständen!“, sagt Simon unwirsch. „Ich habe dir doch erzählt, wie gefährlich der Kerl werden kann. Erinnere dich bitte an die Sache mit meinem Knie. Ich werde euch beide ganz sicher keiner Gefahr aussetzen! Komm, beeilen wir uns. Noch ist es eine Weile hell.“
Was vorhin ein gemütlicher halbstündiger Spaziergang hierher gewesen ist, wird nun in zehn Minuten zurückgelegt. Nina ringt nach Luft, als sie die Hütte erreicht haben. Simon öffnet den Waffenschrank, nimmt noch ein Gewehr heraus und steckt sich Munition in die Taschen. Es gelingt ihr gerade noch, ihm einen schnellen Kuss zu geben. Im Gehen wirft er ihr den Schlüssel zu.
„Schließ ab!“
8. Kapitel
Nina hat Angst! Angst um Simon.
Mit fliegenden Händen steckt sie den Schlüssel ins Schloss, schließt zweimal ab. Sie weiß, da draußen läuft ein Mann herum, der notfalls von der Waffe Gebrauch machen wird. Das hat er schon einmal getan. Und Simon könnte ihm jetzt sehr nahe kommen.
Wie dumm muss der sein, seine Fallen
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