Snow Angel
Paco's genau. Wenn der DJ die Tanzfläche erst mal richtig voll hat, legt er immer etwas Langsames auf. Allzu gern greift er dann in seine ganz persönliche Oldie-Trickkiste. Heute greift er ganz besonders tief. Bei den ersten Klängen von „Nights in White Satin“ möchte Nina schleunigst von der Tanzfläche fliehen, sieht sich aber plötzlich dem gegenüber, dem sie ein Date für heute Abend abgeschlagen hat.
Antonio breitet mit einem strahlenden Lächeln die Arme vor ihr aus.
17. Kapitel
Die Sonne steht schon sehr tief, als die drei Beamten die Laubenkolonie am Rand der Stadt erreichen. Der Frost zieht jetzt wieder an, und die Schneereste auf den abgestreuten Straßen frieren zu knirschendem Eis zusammen. Still und verlassen liegen die kahlen Gärten der Anlage mit ihren kleinen Sommerhäuschen hinter solider Maschendraht-Einzäunung. „Das auch noch auf meine alten Tage“, stöhnt Hauptmeisterin Peter, „an Schlüssel für das Haupttor hat natürlich keiner gedacht. Jungs, zeigt mal, wie fit ihr seid. Wir werden klettern müssen.“
„Alle Achtung, Chefin!“ Jens, der junge Anwärter, hält mit seiner Bewunderung nicht hinterm Berg, als er jenseits des Zaunes mit einem Satz neben ihr im Schnee landet. Grinsend stößt er sie an und weist auf den älteren Kollegen, der noch immer wie ein nasser Sack im Drahtgeflecht hängt.
„Schmidtchen, ich werde dir extra Sportstunden in den Dienstplan schreiben“, sagt sie mit einem süffisanten Grinsen. „Stell dir vor, es wäre nicht nur eine Hausdurchsuchung sondern eine Verfolgung. Ganz nebenbei wärst du jetzt eine super Zielscheibe, wie du da so hängst. Sieh zu, dass du an Land kommst. Es wird gleich dunkel und wir müssen die Laube unseres stinkenden Spezialfreundes noch suchen.“
Keuchend steht Schmidt endlich bei ihnen. Es ist ihm sichtlich peinlich.
Die Dämmerung ist bereits deutlich fortgeschritten, als sie die Laube gefunden haben, zu der die Schlüssel passen, die der Wilderer unter wüsten Flüchen hatte abgeben müssen. Der Anblick, der sich den drei Polizisten beim Öffnen der knarrenden Tür bietet, ist trostlos und beißender Gestank schlägt ihnen entgegen.
„Scheiße!“, entfährt es Schmidt. „Seht mal, da bewegt sich was unter der Eckbank.“
„Warum hat uns der Drecksack nichts davon gesagt, dass er einen Hund hier hat?“, flucht Jens und versucht, den alten mageren Jagdhund hervorzulocken. Zitternd vor Kälte und leise knurrend versucht der Hund, sich in der hintersten Ecke zu verkriechen. Erst als sie die morsche Bank beiseite schieben, gelingt es, ihn zu erwischen.
„Auch das noch, verdammt! Ich versuche es gleich mal beim Tierschutz. Die sollen den armen Kerl abholen“, sagt die Beamtin und zieht ihr Diensthandy aus der Tasche. Sie hat Glück und bekommt die Zusage, dass das örtliche Tierheim sofort einen Wagen schicken wird.
Die Laube ist in völlig verwahrlostem Zustand. Der kleine Bollerofen, die einzige Heizquelle, ist seit mindestens vierundzwanzig Stunden erloschen. Die dünnen Holzwände halten die Wärme nicht lange, und die Raumtemperatur liegt bei mindestens acht Grad unter dem Gefrierpunkt. Ein Sofa in Sperrmüllqualität ist anscheinend das Nachtlager des Wilderers gewesen. Alte, fleckige Wolldecken, unordentlich zusammengeschoben, und ein Kissen in verblichenem Gelsenkirchener Barockstil zeugen von ungemütlichem Schlaf. Der niedrige Tisch davor ist vollgestellt mit mehreren übervollen Aschenbechern, leeren Branntweinflaschen und Konservendosen. Mit spitzen Fingern hebt Jens eine an.
„Mmm, lecker! Pichelsteiner Topf in Schimmel! Hier kannste ja kaum treten vor Müll. So ein Leben kann man wohl wirklich nur im Vollsuff ertragen. Apropos treten: Guck mal, Schmidtchen, wo du da gerade drin stehst. Scheint so, der Hund musste mal, was?“
Schmidts Gesichtsausdruck ist sehenswert. Mit angeekeltem Gesicht verlässt er die Laube. Durch die offen stehende Tür sehen die Kollegen, wie er sich im tiefen Schnee bemüht, den Kot von seinen Schuhen zu scheuern.
„Jens, auch wenn es uns im wahrsten Sinne des Wortes stinkt. Lass uns anfangen. Mach mal Licht.“
„Und was mache ich mit dem Hund so lange, Chefin?“
„Den gibst du Schmidtchen. Der soll ihn in eins von den schicken Plaids einwickeln, bis die ihn holen kommen. Ich fürchte, es ist sowieso nicht der beste Tag für unseren Kollegen. Wir sollten ihn heute nicht überfordern“, entscheidet sie
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