Snow Angel
hat einen sehr feinen Draht für die Stimmungen seiner Gäste und ist immer wieder in der Lage, ihnen mit seiner offenen, herzlichen Art ein paar schöne Stunden zu bereiten. Er weiß, dass er nie aufdringlich werden würde, aber ein untrügliches Gespür dafür hat, wenn jemand gerne ein paar persönliche Worte wechseln möchte. Giuseppes Lokal ist weit mehr als ein Platz, um sich satt zu essen. Wenn man hier geht, fühlt man sich in jedem Falle wohler als beim Hereinkommen.
*
Ungefragt bringt er Simon einen sehr trockenen Martini als Aperitif mit einem kleinen Körbchen voll frisch gebackenen weißen Brotes dazu. Die Gewohnheiten seiner Stammgäste kennt Giuseppe sehr genau. Es entgeht ihm auch nicht, dass dieser Stammgast mehrfach, offenbar erfolglos, zu telefonieren versucht und sein Gesichtsausdruck von Mal zu Mal frustrierter und verschlossener wirkt. Selbst der großartig gelungene Seeteufel scheint ihm nicht richtig zu schmecken, und als Giuseppe den nur halb geleerten Teller abgeräumt hat, setzt er sich mit zwei Gläsern Averna zu ihm und prostet ihm zu. „Was ist los, mein Freund? Ich habe von der Sache mit dem Wilderer oben im Wald gehört. Geht dir das so nahe?“
„Ach was!“, winkt Simon ab. „Ich bin froh, dass ich den Kerl endlich erwischt habe, aber ...“
„Aber du warst nicht allein, als du dir den gekrallt hast, nicht?“
„Woher weißt du das denn schon wieder?“ Simon ist ernsthaft überrascht.
„Bei mir laufen alle Nachrichten der Stadt zusammen. Das weißt du doch. Und ich brauche für nichts eine Brille. Ich sehe nämlich nicht nur mit den Augen, sondern auch mit dem Herzen gut“, schmunzelt der Wirt und fährt schnell fort, denn ihm scheinen nun gewisse Zusammenhänge sehr klar und er will sein Gegenüber durchaus nicht lange schmoren lassen. „Heute Mittag hatte ich schon jemanden hier sitzen, der mir so vorkam, als sei etwas sehr anders als sonst. Und dieser Jemand scheint mit dir zu tun zu haben. Oder vielleicht auch zu tun gehabt zu haben. Das weiß ich natürlich nicht“, erklärt er, und Simon ist ganz Ohr. „Sagt dir der Name Nina etwas?“
Giuseppe genießt die Reaktion, die er heute schon einmal beobachten konnte. Dieses Leuchten, nur ob der Erwähnung eines Namens, macht ihm ungeheuren Spaß. Er will aber vorsichtshalber noch einen kleinen Test machen und fragt nach: „Oder hast du etwa Liebeskummer wegen deiner schönen Lizzy?“
Eindeutiger hätte der Effekt nicht ausfallen können, denn Simons Gesicht verdunkelt sich schnell. Er braucht keine Antwort zu geben. Giuseppe weiß Bescheid. „Verstehe, verstehe! Heute Mittag hatte ich bella Nina mit ihrer Freundin hier sitzen und es ging um den Wilderer. Du hättest mal ihr Gesicht sehen sollen, als ich ihr zu verstehen gegeben habe, dass du mein guter Freund bist!“
„Wenn du wirklich mein guter Freund bist, dann sag mir bitte, wo ich sie finden kann“, kommt Simon unumwunden zur Sache. Er ist elektrisiert ob der sich auftuenden Möglichkeit, auch ohne Huberts Hilfe herauszufinden, wie er sie finden kann.
„Mamma mia!“, ruft der Wirt aus. „Es kann dir nicht schnell genug gehen, ja? Habe ich es doch gewusst … Amore ist im Spiel. Ich kann dir zwar nicht sagen, wo sie wohnt, aber zumindest ist es ziemlich sicher, dass sie mittags mit Signora Jenny in der Pause herkommt, um Capuccino zu trinken. Versuch es dann doch einfach mal.“
„Das dauert mir zu lange! Morgen Mittag! Giuseppe, wie soll ich die Nacht überstehen?“
Nachdenklich wiegt der Italiener den Kopf. Da war doch noch etwas, was er mitbekommen hat, als Signorina Nina gegangen ist. Plötzlich erhellt sich sein Gesicht.
„Si! Mein Sohn Antonio hat versucht, sie zum Tanzen ins Paco's einzuladen. Sie hat zwar nicht gewollt, und warum sie meinem Filius abgesagt hat, verstehe ich jetzt natürlich … aber einen Versuch könntest du doch machen. Vielleicht hat sie es sich ja anders überlegt?“
Sofort ist Simon auf den Füßen. „Bitte, die Rechnung, schnell!“
„Pronto, Signore, es scheint ja um Leben und Tod zu gehen“, lacht der Sizilianer. „Wenn du meinen Antonio siehst, sag ihm, er soll beizeiten heimkommen. Schließlich hat er morgen Schule!“
Die Niederlage des verletzten Stolzes möchte er seinem Sohn gern ersparen. Giuseppe sieht, dass der Junge hier keine Chance im Kampf um das Mädchen haben wird. Als sein Gast die Tür schon in der Hand hat, ruft er ihm noch hinterher er soll „piano
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