Snuff: Roman (German Edition)
. »Cassie Wright«, sage ich. »Die hat ein Kind.«
»Ihre Familie lebt in Montana«, sage ich, »ihre Mutter arbeitet dort bei der Schulbehörde, ihr Vater hat eine chemische Reinigung. Vor zwanzig Jahren, sagen die Leute, kam Cassie eines Tages nach Hause und erklärte, sie sei schwanger. Cassie sah nicht schwanger aus. Sie hatte sich die Haare gebleicht und stark abgenommen. Sie fuhr einen Camaro, mitternachtsschwarz lackiert, der war so neu, dass noch die Händlerkennzeichen dran waren. Und ihr liebes Töchterlein erzählte ihnen, sie habe soeben ihr erstes Meisterwerk abgedreht, World Whore One , und versuchte ihnen zu erklären, was man unter Cream Pie versteht. Dass das manchmal nicht richtig hinhaut. Cassie sagte, ihre Tage seien seit drei Wochen überfällig, und ein Schwangerschaftstest sei positiv ausgefallen. Sie fragte, ob sie bei ihnen bleiben könne, bis sie das Baby geboren habe, und sie sagten nein. World Whore One hatte Cassie über Nacht zum Star gemacht, und ihre Heimatstadt war zu klein, als dass die Leute dort ihre verlorene Tochter nicht erkannt hätten.
Ihre Mutter schickte ihr heimlich jede Woche etwas Geld. Ihr Vater auch. An eine Adresse hier in der Stadt. Aber das Kind haben beide nie gesehen.«
Nummer 137 und Branch Bacardi starren mich bloß an. 137 streichelt seinen Stoffhund. Mr. Bacardi fingert an seinem goldenen Amulett herum, dreht es zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her.
»Eltern«, sagt Mr. Bacardi, »machen immer alles kaputt.«
»Das ist kein Witz«, sage ich. »Pornokinder sind mehr als bloß eine Randerscheinung der Sexindustrie. Die übrig gebliebenen Mastkälber der Erwachsenenunterhaltung. Ein Nebenprodukt wie neue Stämme von Hepatitis- und Herpesviren.«
Nummer 137 hebt eine Hand und wedelt mit den Fingern, bis ich aufhöre.
»Moment mal«, sagt er. »Was ist Cream Pie?«
Ich sehe ihn verdattert an.
Mr. Bacardi sagt: »Das kann ich übernehmen.«
Ich nicke und lasse ihn machen.
Branch Bacardi hebt den Kopf und räuspert sich. Mit ausdrucksloser Stimme, als ob er aus einem Buch vorlesen würde, sagt er: »Der männliche Darsteller kommt, ohne ein Kondom zu tragen, in der weiblichen Darstellerin zum Orgasmus. Nachdem er herausgezogen hat, zieht die Darstellerin ihren Beckenboden kräftig zusammen, worauf das Ejakulat aus ihrer Vaginalöffnung austritt.«
Nummer 137 wird kreidebleich. Mit aufgerissenen Augen sagt er: »Nicht gerade die optimale Verhütungsmethode...«
Sag ich doch.
»Aber«, sagt Mr. Bacardi, »wenn man Kondome benutzt, haben die Filme in Europa keine Chance.« Den Kopf noch immer nach hinten geneigt, betrachtet er Snow Falling on Peters auf dem Monitor, wo Cassie Wright gerade mit vorgehaltenem Bajonett abgeführt und zu einem Internierungslager für Japan-Amerikaner gebracht wird. Mr. Bacardi fummelt an seinem Amulett herum und sagt: »Sie war so hübsch...«
Nummer 137 seufzt und sagt: »Das Gesicht der tausend Facials.«
Für mich sind diese Kinder aber kein Witz. Keine Großstadtlegende.
Noch mehr Rosenblätter rieseln auf den Boden.
Branch Bacardi sagt: »Kannst du mir eins nennen?«
Auf dem Monitor gleitet Cassies bestickter Seidenkimono auf den staubigen Fußboden ihrer Baracke in der Wüste von Nevada. Im Hintergrund blubbert ein Whirlpool voller kichernder Frauen, ihre Gesichter mit Reismehl weiß gepudert. Sie gießen einander Sake über die Brüste. Der Kommandant des Internierungslagers tritt mit einer zusammengerollten Peitsche in die Baracke.
Von meinen Rosen sind praktisch nur noch Stiele und Dornen übrig.
Die mit dem Clipboard und der Stoppuhr steht jetzt in der Nähe des Büffets. Mit meiner freien Hand winke ich Mr. Bacardi und Nummer 137 näher zu mir heran. Ich senke die Stimme, so dass sie im Knallen der Peitsche untergeht, und flüstere.
Ich tippe mir mit dem Zeigefinger an die Brust und hauche das Wort: »Ich.«
Ich bin weder ein Witz noch eine Legende.
Ich bin dieses Pornokind.
11
Mr. 137
Hab ich’s nicht gesagt? Es ist das verdammte Shampoo. Dieser »100 Strokes«-Mist, den Cassie Wright auf den Markt gebracht hat. Mag ja sein, dass die Flasche die perfekte Form hat, um sich damit … Aber ein paar Tage waschen und spülen, und du kriegst eine Glatze. Und das alles bloß, damit Miss Wright das Zeug vielleicht in meinen Haaren riecht und das als Kompliment betrachtet.
Nicht dass sie noch irgendetwas riechen könnte. Hier stinkt es wie in einem Kuhstall.
Branch Bacardi betrachtet
Weitere Kostenlose Bücher