So berauschend wie die Liebe
ihren Tränen freien Lauf … weinte um all jene, die sie geliebt und verloren hatte. Um ihre Mutter, ihren Vater, ihren Bruder … aber vor allem um die Liebe, die sie von Lorenzo nie bekommen hatte und nie bekommen würde.
10. KAPITEL
Lorenzo beobachtete, wie Lucy die Treppe hinaufeilte. Er hatte sie den ganzen Abend nicht aus den Augen gelassen. Es war verrückt, und er musste unbedingt damit aufhören. Selbst wenn sie nicht die Schwester des Mannes gewesen wäre, den er aus tiefster Seele verachtete, wäre es nicht gut gewesen. Sie war viel zu jung für ihn. Da kam Paolo ihr altersmäßig näher, obwohl er dem Jungen fast an den Hals gegangen wäre, als er so frech den Arm um Lucy legte.
Die Party löste sich allmählich auf. Notgedrungen kam Lorenzo seinen Gastgeberpflichten nach und verabschiedete die aufbrechenden Besucher. Eine Stunde später war nur noch der alte Arzt da, der auch über Nacht bleiben würde.
Unschlüssig gesellte Lorenzo sich zu einem letzten Drink zu ihm in den Salon.
„Tolle Party, mein Junge.“
Lorenzo nickte und erkundigte sich nach dem Gesundheitszustand seiner Mutter.
„Das gibt es nichts, worum man sich Sorgen machen müsste. Anna ist es seit Jahren nicht mehr so gut gegangen. Lucy wirkt wie ein Jungbrunnen auf sie. Man kann dich wirklich beglückwünschen, Lorenzo.“ Der Alkohol lockerte die Zunge des alten Arztes mehr, als klug war. „Die junge Frau ist ein Schatz … schön, begabt und mit dem Herz an rechten Fleck: mutig, liebevoll und mitfühlend. Vielleicht zu mitfühlend und selbstlos. Wenn ich ihr Arzt gewesen wäre, hätte ich vermutlich einem Teenager nicht dazu geraten.“
„Wozu?“, fragte Lorenzo aufhorchend. Hatte Lucy etwa eine Abtreibung gehabt?
„Nun … natürlich dazu, ihrem Bruder eine Niere zu spenden.“
Lorenzo wurde kreidebleich und sah den Arzt entsetzt an. „Was hat sie getan? Wann?“
„Aber das weißt du doch sicher, mein Junge. Als ihr Bruder nach England zurückkehrte, nach dem schrecklichen Unfall. In der Schweizer Klinik hatte man lediglich einen Zustand der Erschöpfung festgestellt, und in England kamen die Ärzte zunächst auch nicht zu einem anderen Ergebnis. Erst drei Monate später landete er im Londoner Krankenhaus für Tropenkrankheiten, wo man eine seltene Krankheit diagnostizierte, die er sich vermutlich zu Beginn des Jahres in Südamerika eingefangen hatte und die zu schweren Nierenschäden führte. Da blieb nur noch eine Transplantation, um sein Leben zu retten. Lucy passte perfekt als Spenderin … Es hat allerdings wohl nicht viel geholfen. Denn sie sagte mir, dass ihr Bruder vergangenes Jahr verstorben sei.“
„Lucy …“ Lorenzo begann zu begreifen, was sie geleistet hatte. „Ist sie denn gesund?“
„Ja, es geht ihr bestens. Man kann mit einer Niere gut leben, wenn man ein wenig acht auf sich gibt. Ihre Blutwerte sind völlig in Ordnung. Die Übelkeit war wahrscheinlich wirklich eine Folge des Weines und des reichlichen Essens. Normalerweise ist sie in dieser Hinsicht wohl sehr vernünftig und achtet genau darauf, was sie zu sich nimmt. Ich vermute, Anna hatte insgeheim gehofft, Lucy wäre schwanger. Aber das ist sie nicht, allerdings nimmt sie auch nicht die Pille, ebenfalls aus gesundheitlichen Erwägungen.“ Der alte Arzt verstummte und fügte dann etwas verspätet hinzu: „Aber das hätte ich dir alles gar nicht erzählen dürfen. Ärztliche Schweigepflicht, du weißt … Ich glaube, es wird Zeit, dass ich ins Bett komme. Gute Nacht, Lorenzo.“
Doch Lorenzo hörte ihm schon gar nicht mehr zu. Die Ungeheuerlichkeit dessen, was ihm der Arzt soeben enthüllt hatte, schnürte ihm buchstäblich die Kehle zu. Lucy, seine Lucy mit ihren funkelnden Augen und dem strahlenden Lächeln … Er würde es nicht überleben, wenn ihr etwas zustieß. In diesem Moment begriff er, dass er sie liebte. Wahrscheinlich hatte er sie vom ersten Augenblick an geliebt, als sie in sein Büro gekommen war und er sie geküsst hatte.
Er hätte es wissen müssen, denn noch nie hatte er bei einer Frau derart die Kontrolle über seine Gefühle verloren wie bei Lucy. Entsetzt dachte er daran, wie grausam er sich ihr gegenüber verhalten hatte. Er hatte ihren Bruder, der zum Zeitpunkt des Unfalls bereits unter der schweren Erkrankung litt, praktisch des Mordes beschuldigt und sie in so vieler Hinsicht gekränkt und verletzt. Beschämt barg er das Gesicht in den Händen. Wie konnte sie ihm je verzeihen?
In Gedanken ging er jeden Tag
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