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So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren

So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren

Titel: So bin ich eben - Erinnerungen einer Unbezaehmbaren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Juliette Gréco
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künstlerische Freiheit ein. Die Bühne ist ein Forum, das man mir zur Verfügung stellt, wofür ich dankbar bin. Aber ich benutze und nutze es auch, ich bin nicht unschuldig.
    »La Complainte« von Raymond Queneau wurde 1957 verboten, weil siebzehnmal das Wort »con«, Vollidiot, darin vorkam. »Qu’on est bien« von Guy Béart wurde ein Jahr später verboten: zu erotisch!
    Qu’on est bien
    Dans les bras
    D’une personne du genre qu’on n’a pas
    Qu’on est bien dans ces bras-là
    Certains jouent quand même
    Les atouts de même couleur
    Libres à eux, moi, j’aime
    Les valets sur les dames, les trèfles sur les cœurs.
    In den Armen
    Einer Person,
    Die anders ist, das gefällt mir schon.
    Es gefällt mir schon im Arm einer solchen Person.
    Manche allerdings
    Machen mit der gleichen Spielfarbe ihren Stich.
    Nichts dagegen, doch Kreuz auf Herz,
    Bube auf Dame, das begeistert mich.
    Ist dieser Text gefährlich? Was für ein Unsinn.
    »Chandernagor«von Guy Béart wurde ebenfalls verboten. Der Text macht sich über das französische Kolonialreich in Indien lustig, indem es die Namen menschlicher Körperteile mit den Namen der einstigen französischen Kolonialstädte Chandannagar, Yanam, Mahé und Puducherry ersetzt.
    Elle avait, elle avait
    Un Chandernagor râblé
    Pour moi seul, pour moi seul
    Elle découvrait ses cachemires
    Ses jardins, ses beaux quartiers
    Enfin son Chandernagor
    Pas question
    Dans ces conditions
    D’abandonner les Comptoirs de l’Inde.
    Sie hatte, sie hatte
    Einen Chandannagar wunderbar.
    Nur für mich, nur für mich,
    Da entblößte sie sich.
    Ihre Höfe, ihre Gärten
    Und ihren Chandannagar ganz zuletzt.
    Keine Frage,
    Dass ich sage,
    Indien ist nichts mehr für mich.
    Unter diesem Verbot habe ich nicht gelitten.
    In gewisser Weise hatte mich diese dumme und ungerechtfertigte Sanktion in meinen Ideen bestärkt. Wenn bestimmte Texte im Radio oder Fernsehen nicht mehr gesendet werden, dann ist das beängstigend. Es zeigt aber auch, dass man ein bisschen an die Macht der Worte glaubt.
    Um gegen die Zensur zu kämpfen, muss man von ihr sprechen.
    Links
    Ich stehe ein für eine bestimmte Sicht auf die Welt.
    Linke Ideen, wie man sie nennt, stehen dahinter. Diese Werte lernte ich zum ersten Mal bei meiner Mutter in ihrer Wohnung in Paris kennen.
    In diesem Geist bin ich groß geworden, er war immer um mich und hat mich genährt. Nie gab es rassistische Äußerungen. Ich hörte nur Sätze gegen den Rassismus.
    Aus den wenigen Malen, die ich meine Mutter sah und bei denen ich ihr zuhören durfte, habe ich meine Lektion gelernt. Ich habe den linken Gaullismus erlebt, den der FFI, der heimlichen militärischen Résistance-Gruppen, und den von Louis Aragon. Alle drei Varianten sind ein beständiger Teil von mir geworden.
    Während des Krieges und in der Nachkriegszeit waren meine Freunde entweder in der kommunistischen Partei oder in der SFIO , der französischen Sektion der Arbeiter-Internationale, die zu der Zeit völlig bedeutungslos war. Oft besuchte ich die Kommunisten Pierre Hervé und Pierre Courtade.
    Eines Tages geriet ich auf der Straße in eine Schlägerei mit einem Mann von der extremen Rechten, der verletzende rassistische Äußerungen von sich gab. Wenn ich bemerke, dass es sinnlos ist zu argumentieren, wenn Worte keinen Wert mehr haben, weil niemand ihnen zuhört, dann kann ich körperlich gewalttätig werden.
    Das Wort ist nur dann eine Waffe, wenn man es versteht.
    Der Widerwille provoziert die Revolte. Wenn das Unerträgliche nicht mehr tragbar ist. Wenn ich Widerwillen empfinde, geht es mir sehr schlecht. Und diese Empfindung kann mich blind machen und so in Rage bringen, dass es gefährlich wird. Mir ist das zum Glück nur wenige Male passiert.
    Aber diese wenigen Male waren leider sehr heftig.
    Als ich sechzehn war, schlug ein Mann von der Gestapo auf mich ein. Am liebsten hätte ich mich erbrochen. Ich gab ihm eine Ohrfeige, seine Antwort darauf war schrecklich.
    Beim zweiten Mal reagierte ich ganz anders. Ich wollte nicht mehr kämpfen, nicht mehr leben.
    Ich war im Régine zum Abendessen. Mein damaliger Verehrer Alain Louis-Dreyfus, Françoise Sagan und der Tänzer Jacques Chazot begleiteten mich. Alles, was in Paris Rang und Namen hatte, war versammelt. Der Abend war bereits fortgeschritten. Aber das Einzige, was ich bisher zu hören bekommen hatte, waren Klatsch, Lügen und Bosheiten gewesen. Keiner der Gäste war verschont worden. Ich ging nach Hause, ich ekelte mich und

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