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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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bekümmerten Miene vor und erklärt leise: »So etwas ist privat, Lilian.«
    Jan sieht, dass weder Lilian noch Hanna einen Ring tragen. Er schüttelt kurz den Kopf. Nein . Das kann entweder bedeuten, dass er Single ist oder dass er nicht antworten will.
    Â»Was machen Sie denn in Ihrer Freizeit, Jan?«
    Doktor Högsmed hat diese Frage gestellt.
    Â»Alles Mögliche«, antwortet er. »Ich interessiere mich für Musik, ich spiele ein wenig Trommel, und außerdem zeichne ich.«
    Â»Was zeichnen Sie?«
    Jan zögert, ob er darauf antworten soll. Auch das ist eigentlich privat.
    Â»Ich bin dabei, eine Comicserie zu zeichnen. Das ist ein altes Traumprojekt von mir.«
    Â»Verstehe. Für eine Zeitung?«
    Â»Nein. Sie ist auch noch lange nicht fertig.«
    Â»Das müssen Sie den Kindern zeigen«, meint Marie-­Louise. »Wir lesen ihnen viel vor.«
    Jan nickt, doch er bezweifelt, dass die Vorschulkinder die Comicserie über Den Scheuen gern vorgelesen bekämen. Sehr viel Hass kommt darin vor.
    Plötzlich hört man einen dumpfen Ruf aus dem Kis­senzimmer. Marie-Louise erstarrt, Andreas wendet den Kopf.
    Â»Das klang wie Matilda«, sagt er leise.
    Â»Ja«, bestätigt Marie-Louise, »Matilda träumt viel.«
    Â»Das liegt an ihrer Phantasie«, erklärt Lilian. »Matilda phantasiert die ganze Zeit.«
    Das ist alles, was Jan nun über eines der Kinder erfährt, und dann wird es um den Tisch wieder still. Alle scheinen auf weitere Rufe aus dem Kissenzimmer zu lauschen, doch es sind keine zu hören.
    Schließlich reibt sich Högsmed die Augen und sieht auf die Uhr. »Okay, Jan, dann möchten Sie jetzt vielleicht nach Hause fahren, oder?«
    Â»Ja, es ist wohl langsam an der Zeit.«
    Er versteht den Wink, der Oberarzt möchte ihn loshaben. Er will hören, was die vier Angestellten der Vorschule über den männlichen Kandidaten denken.
    Â»Ich werde mich melden, Jan. Ich habe ja Ihre Nummer.«
    Jan verabschiedet sich mit einem freundlichen Lächeln und einem festen Handschlag für jeden.
    Draußen ist der Herbstregen weitergezogen.
    Als er aus dem Gartentor der »Lichtung« geht, ist keine Menschenseele an der Krankenhausmauer zu sehen. Aber Sankt Patricia selbst sieht fast lebendig aus, die Fassade ist vom Regen dunkel geworden, und die Klinik gleicht einem riesigen Steinkoloss, der sich hinter der Vorschule erhebt.
    Jan bleibt an der Mauer stehen und sieht zu dem Krankenhaus hinüber, betrachtet jedes einzelne Fenster. Er wartet, ob sich dort drüben jemand zeigt, ein Kopf, der sich hinter einem Gitter bewegt, oder eine Hand, die an die Glasscheibe gelegt wird. Doch es ist nichts zu erkennen, und nach einer Weile macht er sich Sorgen, dass ihn vielleicht ein Wachmann sieht und für einen Verrückten hält, der dasteht und glotzt. Also geht er, mit einem letzten Blick zurück auf die kleine Vorschule, weiter.
    Die große Mauer von Sankt Patricia übt eine schaurige Faszination aus, aber er muss aufhören, daran zu denken. Er sollte sich nur auf die »Lichtung« konzentrieren, das kleine Haus mit den schlafenden Kindern darin.
    Vorschulen gleichen Oasen des Friedens und der Sicherheit.
    Er möchte die Stelle dort wirklich haben, auch wenn seine Nerven von Högsmeds Prüfung immer noch angespannt sind. Von diesem Mützentest. Und was noch schlimmer war: das Telefonat mit seinem früheren Arbeitsplatz.
    Aber das, was im »Luchs« geschehen ist, wird sich in der »Lichtung« nicht wiederholen.
    Damals war er jung, ein zwanzigjähriger Erzieher. Und vollkommen aus dem Gleichgewicht.

5
    Der Schauer ist vorübergezogen. Die Herbstluft in Valla ist kalt und frisch. Die Stadt liegt wie in einem Topf vor ihm, als Jan zunächst durch die Villenviertel, dann über die Eisenbahnschienen und schließlich hinunter in die Geschäftsstraßen geht. Die Einkaufsstraßen sind voller Teenager und Rentner. Die Jungen stehen vor den Läden, die Älteren sitzen auf den Bänken. Jan sieht Hunde an der Leine und um die Papierkörbe herum kleine Gruppen von Vögeln, doch nur sehr wenig Kinder.
    Der nächste Zug nach Göteborg geht in einer Stunde, also hat Jan noch ausreichend Zeit herumzuspazieren. Zum ersten Mal, seit er in der Stadt angekommen ist, denkt er darüber nach, wie es wäre, in Valla zu wohnen. Im Moment ist er ein Besucher, doch wenn er die

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