So bitterkalt
kann sich wieder entspannen. Er muss an Leos Nervosität und Rastlosigkeit denken. Es ist schlimm, dass er weggelaufen ist, aber schlieÃlich ist die Polizei eingeschaltet, und Jan kann nichts weiter tun. Seine Aufgabe ist es, hier zu stehen und auf Rami zu warten.
Nur wenige Minuten später hört er erneut ein Geräusch, ein dumpfes Rasseln geht durch die Unterwelt, und es wird immer lauter.
Es kommt aus dem Aufzugschacht.
Jans Puls schlägt schneller, er macht ein paar Schritte auf die Aufzugluke in der Wand zu. Die Klappe bewegt sich nicht, aber das Rasseln nimmt zu. Der Wäscheaufzug ist auf dem Weg nach unten.
Mit einem Knarzen bleibt er hinter der Tür stehen. Einen Augenblick ist es wieder still. Und dann wird die Tür langsam aufgedrückt. Da ist jemand im Aufzug, jemand, der hinauswill.
Jans Herz pocht wild, er tritt noch näher an die Luke.
»Du bist da«, sagt Jan, »willkommen!«
Ein Arm schiebt sich unter der Klappe heraus, dann ein mit Jeans bekleidetes Bein. Doch sie bewegen sich nicht. Der Arm und das Bein hängen wie leblos herab.
»Rami?«
Jan macht einen letzten Schritt auf die Luke zu und streckt die Hand aus, doch in dem Moment knallt die Luke mit einem harten Schlag auf, und Jan kann nicht ausweichen, sondern bekommt sie vor die Brust, spürt einen aufblitzenden Schmerz und krümmt sich zusammen.
Etwas zischt, die Luft wird nebelweiÃ, und plötzlich kann er nicht mehr atmen.
Er kneift die Augen zu, hustet und weicht zurück, die Beine geben unter ihm nach, und er schlägt mit dem Rücken auf den Boden.
Tränengas, er hat Tränengas ins Gesicht bekommen.
Ein schwerer, lebloser Körper wird aus dem Wäscheaufzug geschubst und landet wie ein Sack nasser Erde neben ihm.
Jan blinzelt mit tränenden Augen und versucht aufzublicken. Er erkennt einen Körper neben sich, mit einem starren Gesicht und weit aufgerissenen Augen.
Ein Mann. Ein Wachmann. Seine Kehle ist eine klaffende Wunde, sie ist aufgeschlitzt.
Jan berührt den Körper, und ihm läuft warmes Blut über die Hand.
Jetzt erkennt er den Wachmann: Es ist Carl. Der Schlagzeuger von den Bohemos und der Kontaktmann von Ivan Rössel. Doch er liegt im Sterben.
»Carl?«
Vielleicht ist er auch schon tot. Carl rührt sich nicht und blutet heftig aus der Halswunde. Das Blut ist ganz dunkel und hat Spuren auf seinem T-Shirt hinterlassen.
Jan blinzelt und versucht, trotz des Tränengases klar zu sehen. In der Ãffnung des Aufzugs scheint sich etwas zu bewegen. Ein Schatten.
Das ist noch eine Person in dem Wäscheaufzug, begreift er, jemand, der sich dazugequetscht hat und mit dem sterbenden Wachmann in den Keller gefahren ist.
Der Schatten schiebt sich heraus und kommt auf die FüÃe. Es ist eine lange Gestalt in Krankenhauskleidung: graue Trainingsjacke, Baumwollhosen und weiÃe Sportschuhe.
Ein Patient.
Aber das ist nicht Alice Rami. Die Gestalt ist zu groà und zu breit, die Haare sind zu dunkel.
Es ist ein Mann.
Er beugt sich über den am Boden liegenden Jan und verbreitet einen Gestank von Rauch und Tränengas und noch etwas anderem. Brennflüssigkeit oder Benzin.
Plötzlich macht er eine schnelle Bewegung, zieht Jan die Hände zusammen und zurrt sie irgendwie fest.
»Lass locker«, sagt der Mann leise.
Jan kann die Arme nicht mehr bewegen, er hat einen Kabelbinder um die Handgelenke, wie Handschellen.
Der Mann steckt die Spraydose in die Tasche und zieht Jan vom ZementfuÃboden hoch. In der rechten Hand hält er ein kurzes Messer. Nein, ein Rasiermesser mit besudelter Klinge.
»Ich weiÃ, wer du bist«, sagt der Mann. »Du hast mit mir gesprochen.«
Seine Stimme ist heiser, aber ruhig. Nur seine Hände bewegen sich schnell und ruckartig, wenn er an Jan zerrt.
»Du wirst mir helfen, hier rauszukommen.«
Aber Jan blinzelt nur. »Wer sind Sie?«
Der Mann hebt blitzschnell die linke Hand unters Kinn und schaltet etwas ein.
»Sieh nur her.«
Ein weiÃes Licht leuchtet im Dämmerlicht auf und strahlt sein Gesicht an â und Jan erkennt den Mann.
Es ist Ivan Rössel, mit einem Schutzengel in der Hand. Er ist ein paar Jahre älter als auf den Zeitungsbildern und hat dunkle Falten in seinem schmalen Gesicht. Das lockige Haar fällt ihm halblang auf die Schulter und ist mittlerweile von grauen Strähnen durchzogen.
Jan hustet und blinzelt.
»Rami«, flüstert er
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