So bitterkalt
Kloster.« Er beugt sich vor. »Und du, Kamerad? Bist du auch einsam?«
Jan sieht auf den leeren Parkplatz hinaus. Er widersteht dem Reflex, den Kopf zu schütteln â Rössels Rasierklinge ist wieder zu dicht an seinem Hals.
»Manchmal.«
»Nur manchmal?«
Eigentlich kann Jan behaupten, was er will, doch er sagt die Wahrheit: »Nein. Oft.«
»Das habe ich mir gedacht. Du stinkst nach Einsamkeit.«
Jan dreht vorsichtig den Kopf herum, nur keine hastigen Bewegungen.
»Ich habe heute Abend auf jemand anderen gewartet«, erklärt er. »Sie heiÃt Rami. Alice Rami.«
»Es gibt keine Rami in der Klinik.«
»Dort nennt sie sich Blanker. Maria Blanker, in der vierten Etage.«
»Du weiÃt gar nichts«, zischt er. »Maria Blanker ist keineswegs Rami. Es ist ihre Schwester. Und Blanker sitzt in der dritten Etage.«
»Ramis Schwester? Ich habe Briefe an Maria Blanker geschrieben«, sagt Jan, »und sie hat geantwortet.«
»Wer weià schon, wo Briefe hingelangen?«, spottet Rössel. »Du hast zwar Briefe geschrieben, aber ich habe sie erhalten. Ich habe Carl ein bisschen Geld gegeben, er hat mich die Briefe lesen lassen, und ich las und las. Und deiner war anders, das hat mich ein wenig neugierig gemacht. Also habe ich geantwortet und dir geschrieben, dass mein Zimmer in der vierten Etage liegt. Du hast dann den kleinen Empfänger in meinem Briefkasten deponiert. Und ich habe mit der Deckenlampe geantwortet. Blink, blink. Erinnerst du dich?«
Jan erinnert sich sehr wohl. Rössels Worte sickern in sein Bewusstsein.
Keine Rami . Nur Rössel, die ganze Zeit.
Was hatte er in den Briefen geschrieben? Was hatte er dem Schutzengel erzählt?
Alles. Jan hatte gemeint, mit Rami zu sprechen, und deshalb hat er alles erzählt. Er hatte ihr so viel zu erzählen gehabt.
»Dann ist jetzt alles zu Ende«, sagt er.
Er ist müde und leer. Aber er bewegt sich nicht, denn unter seinem rechten Ohr sitzt immer noch Rössels Rasierklinge an seiner Haut.
»Gar nichts ist zu Ende«, widerspricht Rössel. »Es geht immer weiter.«
Plötzlich lässt er den linken Arm sinken. Die Rasierklinge verschwindet aus Jans Blickfeld. Er hört, wie Rössel Luft holt und leise, wie zu sich selbst, sagt: »Dieses Gefühl, mit einer breiten StraÃe hinaus in die Dunkelheit. Das Gefühl von Freiheit. Fünf Jahre lang habe ich Wände und Mauern um mich herum gehabt. Und jetzt habe ich das alles einfach hinter mir gelassen.«
Jan dreht seinen Kopf um einen Zentimeter.
»Und all die Menschen, die Ihnen Briefe geschrieben haben, haben Sie die auch hinter sich gelassen?«
»Selbstverständlich.«
»Auch Hanna Aronsson?«
»Hanna? Ja«, sagt Rössel und klingt zufrieden. »Die ist nicht hier, oder? Die ist heute Abend woanders.«
Jan begreift. Rössel hat alle reingelegt.
Er ist ein Psychopath. Ihm fehlt die Fähigkeit, Schuld zu empfinden , hat Lilian gesagt. Das Einzige, was er will, ist Aufmerksamkeit.
Jan versucht, sich Rössel als Lehrer vorzustellen. Mit dieser sanften Stimme muss er im Klassenzimmer verÂtrauenerweckend erschienen sein. Und nicht nur dort, bestimmt hat er auch auf viele Menschen, denen er auf der StraÃe oder im Campingurlaub begegnet ist, vertrauenswürdig gewirkt. Völlig ungefährlich.
Hallo, ich heiÃe Ivan, ich bin Lehrer und mache Sommerurlaub. Du, sag mal, könntest du mir eben helfen, diesen Tisch in meinen Campingwagen zu tragen? Das ist der, der dahinten ein bisschen abseits steht. Genau, ein Tisch zum Kaffeetrinken, es wäre ganz toll, wenn wir den da reinkriegen würden. Ich weiÃ, dass es schon spät ist, Kamerad, aber vielleicht kann ich dir hinterher ja eine Tasse anbieten. Oder lieber etwas Stärkeres? Ich habe Bier und Wein. Das ist gut, geh du zuerst rein. Pass auf, es ist dunkel hier, man sieht kaum etwas. Gut, geh nur rein.
Trotz der Wärme im Auto schaudert es Jan.
Auf dem Sitz hinter ihm bewegt sich Rössel erneut. Seine Stimme tönt neben Jans Ohr: »Wir sollten bald losfahren, jetzt, da die StraÃe so breit ist. Wir werden eine gemeinsame Reise unternehmen.«
Jan denkt eine einzige Sache, und schlieÃlich spricht er es aus: »Wir sollten ins Krankenhaus zurückfahren.«
»Warum?«
»Weil die Leute sich dort Sorgen machen, wenn Sie hier drauÃen unterwegs sind.«
»Die haben
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