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So bitterkalt

So bitterkalt

Titel: So bitterkalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johan Theorin
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und wieder die wenigen Details, die sie kannten. Ivan Rössel war nicht nur Lehrer, sondern auch begeisterter Langzeitcamper. Er besaß einen großen schallisolierten Wohnwagen, den er im Frühsommer in einer verborgenen Ecke irgendeines schwedischen oder norwegischen Campingplatzes aufstellte. Dann wohnte er dort bis zu Schuljahresbeginn, blieb meist für sich, machte aber viele Ausflüge in die Umgebung. Zur gleichen Zeit wurden mehrere Jugendliche in der Gegend ermordet aufgefunden, und ein junger Mann verschwand spurlos. Es war der neunzehnjährige John Daniel Nilsson, der eines Abends im Mai auf einer Schulparty in Göteborg vor die Tür ging, um etwas Luft zu schnappen, und nie wieder zurückkam.
    Jan erinnert sich an den Fall vor sechs Jahren. Er hatte in Göteborg gewohnt, als John Daniel verschwand.
    Nachdem Rössel wegen der Brandstiftungen in Haft saß, begann die Polizei eine Verbindung zwischen ihm und den Toten und Verschwundenen zu suchen. Doch da war Rössels Wohnwagen bereits in Rauch aufgegangen, sein Auto war verschrottet, und mögliche Beweise waren vernichtet. Und Rössel selbst leugnete.
    Es gibt viele Artikel über Rössels Hintergrund und seine Campingurlaube, Hunderte von Artikeln sind es, doch nachdem Jan ein halbes Dutzend gelesen hat, hat er genug.
    Rössel ist eingesperrt, und das Krankenhaus Sankt Patricia scheint der richtige Ort für ihn zu sein. Hanna Aronsson kann ja wohl kaum an einem derart gestörten Menschen interessiert sein. Oder doch?
    Jan sucht deshalb nach einem anderen Namen im Netz: Sankt Patricia. Er findet keine Bilder oder Zeichnungen, sondern nur kurze Fakten und die offiziellen Daten der Klinik. Ein Treffer leitet ihn in die völlig falsche Richtung, denn dort geht es um verschiedene Schutzheilige. Er erfährt, dass die heilige Patricia eine Nonne war, die im 15. Jahrhundert im Orden der heiligen Klara in Stockholm tätig war. Patricia hat sich um Waisen, kranke Alte und die Ärmsten der Armen in den engen Gassen der Stadt gekümmert. Es sind nur wenige Zeilen.
    Jan fährt den Computer herunter, steht auf und fängt an zu packen. Er wird zum ersten Mal seit einem halben Jahr in seine Geburtsstadt Nordbro und zu seiner alten Mutter reisen.
    Die Gerüche sind dieselben. Der Geruch seiner Mutter, die Parfüms und die Duftkugeln. Sein Vater ist seit drei Jahren tot, aber der Geruch seines Tabaks und seines Rasierwassers hängt noch in den Räumen, der hat sich in den Wänden festgesetzt.
    Jan geht zwischen all den Erinnerungen umher.
    Auf dem Fernseher steht ein altes Foto von Jan und seinem drei Jahre jüngeren Bruder Magnus. Sie sind acht und fünf Jahre alt und lächeln in die Kamera. Daneben steht ein kürzlich aufgenommenes Foto von Magnus als jungem Mann vor Big Ben, den Arm um ein Mädchen gelegt. Magnus studiert Medizin am King’s College, zusammen mit seiner Verlobten aus Kensington wohnt er am Russel Square in London und hat eine strahlende Zukunft vor sich.
    Jan sieht sich im Wohnzimmer um, wo die Glastische und der Parkettfußboden mit Staub bedeckt sind.
    Â»Du solltest etwas mehr putzen, Mama.«
    Â»Ich kann nicht putzen. Papa hat immer geputzt.«
    Jans Mutter nannte ihren Mann immer Papa.
    Â»Du kannst dir doch eine Putzfrau anstellen.«
    Â»Das kann ich mir nicht leisten.«
    Die Mutter sitzt meist zusammengesunken in Morgenrock und rosa Pantoffeln in dem zerschlissenen Ledersessel vor dem Fernseher. Manchmal steht sie regungslos vor einem Fenster. Jan möchte sie in Gang bringen, sie animieren, eigene Entscheidungen zu treffen und Freunde zu finden. Sie hat viel zu sehr bloß an der Seite ihres Mannes gelebt.
    Vielleicht ist sie es aber auch leid, seit ihrer Pensionierung nichts mehr zu tun zu haben. Sie scheint auch nicht sonderlich glücklich darüber zu sein, dass Jan gekommen ist.
    Â»Hast du keine Freundin dabei?«, fragt sie plötzlich.
    Â»Nein«, antwortet Jan leise. »Auch diesmal nicht.«
    Also hat Jan auch keine Freundin, der er Nordbro zeigen könnte. Ebenso wenig wie er alte Freunde hat, mit denen er sich hier treffen könnte, und deshalb unternimmt er später am Nachmittag allein einen langen Spaziergang durch die Heimatstadt.
    Auf dem Weg zum Zentrum kommt er wie immer an dem Flachbau des Pflegeheims vorbei, in dem Christer Vilhelmsson zusammen mit anderen hirngeschädigten Patienten versorgt wird, aber da es windig ist,

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