So fern wie ein Traum
Teufel hatte er sich darauf eingelassen, fragte er sich bereits zum wiederholten Mal.
Nie zuvor hatte er die Vordertür von Templeton House benutzt. Wenn er als Junge zu oder mit Josh gekommen war, hatte er immer die Seiten- oder Hintertür gewählt. Das leicht zurückgesetzte, mit teuren, italienischen Fliesen gerahmte Portal war ihm in seiner eleganten Pracht einfach zu imposant. Der Klopfer war ein riesiges Messingding in Form eines stilisierten T, und über seinem Kopf hing eine antike Kutschenlampe, die den gesamten Eingangsbereich in warmes Licht tauchte.
Trotzdem vermittelte ihm nichts von alledem das Gefühl, willkommen zu sein in diesem Haus.
Ebenso wenig wie ihm Ann Sullivan ein solches Gefühl vermittelte, als sie auf sein Klopfen hin öffnete. Mit ihren zusammengekniffenen Lippen und dem frisch gestärkten schwarzen Kleid erschien sie ihm wie ein Racheengel. In all den Jahren kaum gealtert, war sie, abgesehen von ihrem feindseligen Blick, eine schöne Frau. Anscheinend hatte Margo ihr Aussehen zum größten Teil von ihr geerbt.
»Mr. Fury.« Ihr leichter irischer Akzent wäre ohne die deutliche Verachtung in ihrer Stimme vielleicht charmant gewesen.
Da er aus ihm unverständlichen Gründen immer schon gewünscht hatte, sie wäre ihm gewogen, verspürte er auch jetzt den alten Trotz. Sein Lächeln und seine Stimme waren anmaßend, als er erwiderte: »Mrs. Sullivan. Wir haben einander lange nicht mehr gesehen.«
»Das stimmt«, antwortete sie und ihre Stimme verriet, dass es dabei ihrer Meinung nach ruhig hätte bleiben können. »Kommen Sie herein.«
Er nahm die widerwillige Einladung an und trat in das prachtvolle Foyer. Immer noch dieselben elfenbeinfarbenen und pfauenblauen Fliesen, bemerkte er. Und immer noch derselbe prachtvoll verzierte Kronleuchter, dessen Licht sich wie ein schimmernder Diamantregen über den Eintretenden ergoss. Wenn schon nicht die Wirtschafterin, so zeigte sich zumindest das Haus sehr gastfreundlich. Es war voll anheimelnder Düfte, reicher Farben, warmen Lichts.
»Ich werde Miss Laura sagen, dass Sie da sind«, sagte Ann Sullivan.
Doch noch während sie sich zum Gehen wandte, kam Laura bereits die breite, gewundene Treppe heruntergeschwebt. Obgleich Michael sich später sagte, dass es Unsinn war, merkte er, wie sein Herzschlag für eine Sekunde aussetzte.
Die Perlen auf ihrer Jacke schimmerten im sanften Licht des Leuchters. Darunter trug sie ein schlicht-elegantes, mondstaubfarbenes Kleid. Die Konturen ihres schmalen Gesichts unter dem aufgesteckten Haar wurden von saphir- und diamantbesetzten Ohrringen vorteilhaft betont.
Sie wirkte so perfekt, so liebreizend, wie sie dastand, eine Hand auf dem schimmernden Geländer, als wäre sie gemalt.
»Tut mir Leid, dass ich dich habe warten lassen.« Ihre kühle Stimme verriet weder die Panik, die sie unter seinem bohrenden Blick empfand, noch die Hektik, mit der sie eben noch den Teppich geschrubbt hatte.
»Ich bin gerade erst gekommen«, antwortete er nicht minder kühl. Dann jedoch erkannte er, wie absurd diese Begegnung war. Hier stand er, Michael Fury, der ewige Herumtreiber, und wartete darauf, dass eine Prinzessin in seine Niederungen herunterstieg. »Ich hoffe, du hast nicht erwartet, dass ich in einer Kutsche vorfahre oder so?«
Sie setzte ein dünnes Lächeln auf. »Schließlich fahren wir auf keinen königlichen Ball.«
»Gott sei Dank.«
»Seien Sie vorsichtig, Miss Laura.« Ann bedachte Michael mit einem warnenden Blick. »Und du pass auf, dass du vernünftig fährst, Junge. Das ist keins deiner Rennen, klar?«
»Annie, der Hund ist bei den Mädchen, aber…«
»Machen Sie sich keine Sorgen.« Ann winkte die beiden in Richtung der Tür, je eher sie gingen, dachte sie pragmatisch, umso schneller hätte sie ihr Mädchen zurück. »Ich werde schon auf ihn, auf sie alle aufpassen. Versuchen Sie, sich zu amüsieren, ja?«
»Und ich werde versuchen, sie unbeschadet wieder nach Hause zu bringen«, fügte Michael sarkastisch hinzu, während er Laura die Tür aufhielt.
»Das hoffe ich«, murmelte Ann und begann, sich Sorgen zu machen, sobald die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war.
»Nett von dir, dass du mich in den Club fährst.« Am besten stellte sie gleich alles klar. »Aber du brauchst dich nicht verpflichtet zu fühlen, mich zu unterhalten, wenn wir dort angekommen sind.«
Er hatte etwas ganz Ähnliches sagen wollen, aber es störte ihn, dass sie ihm zuvorgekommen war. Er öffnete die
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