So fern wie ein Traum
beäugte. »Aber erst muss ich die Lady hier alle Gangarten machen lassen. Nachher kommt jemand vorbei, um sie sich anzusehen.«
Kayla schob die Unterlippe vor, während sie die schimmernde Flanke der Stute tätschelte. »Um sie zu kaufen?«, fragte sie.
»Vielleicht.« Verständnisvoll hockte er sich neben sie. »Sie braucht ein gutes Zuhause. Genau wie Bongo eins hat«, sagte er.
»Bei Ihnen hat sie doch ein gutes Zuhause«, stellte Kayla fest.
Er dachte, dass dies sicher nicht der richtige Zeitpunkt für eine Erklärung über die Gewinn- und Verlustrechnungen war, die ihm häufig genug den Schlaf raubten. Also entschied er sich für eine möglichst einfache Erläuterung. »Ich kann sie nicht alle behalten, Schatz. Was ich mache, ist, gut für sie zu sorgen, solange sie hier bei mir sind, und Leute zu suchen, die sich genauso gut um sie kümmern, wenn ich sie nicht länger behalten kann. Und deine Mom hat Leute gefunden, bei denen eins der Tiere gut aufgehoben ist. Du kennst doch Mrs. Prentice, oder nicht?«
»Sie ist nett.« Kayla nagte an ihrer Unterlippe, während sie nachdachte. Sie mochte Mrs. Prentice – sie hatte ein hübsches Lächeln. »Ihre Tochter reitet. Mandy ist vierzehn und hat schon einen echten Freund.«
»Ach ja?« Amüsiert zerzauste Michael Kayla das Haar. »Wenn sie die Lady hier mögen und wenn die Lady sie mag, bekommen sie sie. Glaubst du, dass Mandy sich gut um sie kümmern würde?«
»Ich schätze schon.«
»Und jetzt bringen wir beide, du und ich, sie auf die Koppel, ja?«
»Ich hole ihre Decke. Warten Sie.«
Während Kayla davonrannte, unterzog er die Stute einer letzten eingehenden Musterung. Sie war ein hübsches kastanienbraunes Tier, dessen Fell dank des sorgsamen Striegeins seidig schimmerte. Ihre intelligenten Augen waren klar, ihr Herz stark, ihre Hufe gesund und glänzend eingeölt. Mit ihrer Risthöhe von einem Meter fünfzig hatte sie eine gute Größe, war wohl geformt, und brächte dank ihrer Gutwilligkeit und ihres gutes Benehmens sicher einen brauchbaren Preis.
Trotzdem würde er sie fürchterlich vermissen, dachte er und tätschelte ihr liebevoll die Flanke.
Zusammen legten er und Kayla ihr den Sattel auf, wobei Kayla genauestens auf jede seiner Bewegungen achtete. Sie hoffte darauf, dass Mr. Fury sie eines Tages die Sattelgurte würde anziehen lassen, aber sie wollte nicht darum bitten. Zumindest jetzt noch nicht.
»Und wo ist Ali heute?«, fragte Michael sie.
»Oh, sie ist in ihrem Zimmer. Sie muss aufräumen und ihre Hausaufgaben fertig machen. Sie kann heute nicht rauskommen, weil sie Stubenarrest hat.«
»Was hat sie denn angestellt?«
»Sie hat sich schon wieder mit Mama gestritten.« Dicht von ihrem Hund gefolgt, ging Kayla neben Michael, als er die Stute aus dem Stall führte. »Sie ist wütend, weil unser Dad Mrs. Litchfield heiratet und weil er nicht mir ihr zu dem Väter-Töchter-Essen in der Schule geht. Sie sagt, das ist alles Mamas Schuld.«
»Und weshalb denkt sie das?«
»Keine Ahnung.« Kayla zuckte mit den Schultern zum Zeichen, dass sie ihre Schwester nicht verstand. »Sie ist dumm. Onkel Josh wird mit ihr zu dem Essen gehen, und er ist sowieso viel lustiger. Unser Dad mag uns nämlich nicht.«
Der beiläufige Ton, in dem sie sprach, ließ Michael stehen bleiben. Er blickte sie an. »Ach nein?«
»Nein, aber das ist okay, denn…« Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe. »Das ist schlimm.«
»Was ist schlimm, mein Schatz?«
Sie sah hinter sich in Richtung Haus, ehe sie wieder Michael anblickte. »Ich mag ihn auch nicht. Ich bin froh, dass er gegangen ist und dass er nicht wieder kommt. Aber erzählen Sie das bitte nicht Mama, nein?«
Inzwischen war Michael ehrlich alarmiert. »Liebling.« Er ging in die Hocke, umfasste vorsichtig ihre Schultern und zwang sie sanft, ihn weiter anzusehen. »Er hat euch doch nicht wehgetan? Er hat dich oder deine Schwester doch nicht geschlagen?« Bereits bei dem Gedanken drehte sich ihm der Magen um. »Oder eure Mom?«
»Nein.« Angesichts ihrer ehrlichen Verblüffung entspannte sich Michael. »Aber er hört nie zu, und er spielt nie mit uns, und er hat Mama zum Weinen gebracht, also mag ich ihn nicht. Aber erzählen Sie das bitte niemandem.«
»Ich werde schweigen wie ein Grab.« Michael legte sich die Hand aufs Herz. Wie irgendjemand, vor allem ein Vater, nicht vollkommen vernarrt sein konnte in dieses wunderbare Kind, war ihm einfach schleierhaft. »Wie wäre es mit einem kurzen
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