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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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und begann zu essen. Jonny aß seine Pizza auf herkömmliche Art, dachte aber, wenn er das nächste Mal ohne Jimmy eine Pizza aß, würde er sie genauso essen.
    Jimmy kaute, nickte zu dem Verband auf Jonnys Ohr. »Sieht bescheuert aus.«
    »Ja.«
    »Tut’s weh?«
    »Halb so wild.«
    »Unsere Alte sagt, es ist total am Arsch. Dass du nichts mehr hören können wirst.«
    »Ach quatsch. Sie wussten es noch nicht. Es kommt vielleicht wieder in Ordnung.«
    »Hm. Also habe ich das jetzt richtig verstanden? Der Typ hat sich einfach einen verdammten Ast geschnappt und dir gegen den Kopf geknallt?«
    »Mm.«
    »Ist doch zum Kotzen. Und. Was willste jetzt machen?«
    »Weiß nicht.«
    »Brauchst du Hilfe?«
    »… nee.«
    »Was denn. Ich kann ein paar von meinen Kumpels zusammentrommeln, und wir nehmen uns den Typen vor.«
    Jonny riss ein großes Stück mit Krabben von seiner Pizza, sein Lieblingsstück, schob es sich in den Mund und kaute. Nein. Er würde auf gar keinen Fall Jimmys Kumpel in die Sache hineinziehen, denn dann konnte es richtig übel ausgehen. Trotzdem musste Jonny bei dem Gedanken grinsen, welch eine Scheißangst Oskar bekommen würde, wenn Jonny zusammen mit Jimmy und, sagen wir, diesen Typen aus Råcksta auf Oskars Hinterhof auftauchen würde. Er schüttelte den Kopf.
    Jimmy legte seine Pizzarolle ab, sah Jonny ernst in die Augen.
    »Okay. Aber eins sage ich dir. Noch einmal so was, und …«
    Er ließ die Finger knacken, ballte die Fäuste.
    »Du bist mein Bruder, und da darf nicht irgendein Idiot ankommen und … Noch mal so was, und du kannst sagen, was du willst. Dann schnappe ich ihn mir. Okay?«
    Jimmy streckte seine geballte Faust über den Tisch. Jonny ballte seine und boxte gegen Jimmys. Es war ein schönes Gefühl, dass es jemanden gab, dem er etwas bedeutete. Jimmy nickte.
    »Schön. Ich hab da was für dich.«
    Er bückte sich unter den Tisch, griff nach einer Plastiktüte, die er den ganzen Vormittag mit sich herumgeschleppt hatte, und zog ein dünnes Fotoalbum heraus. »Unser Alter hat letzte Woche mal vorbeigeschaut. Er hat jetzt einen Bart, ich habe ihn kaum erkannt. Er hatte das hier dabei.«
    Jimmy reichte Jonny über den Tisch hinweg das Fotoalbum. Jonny wischte sich die Finger an einer Serviette ab und schlug es auf.
    Bilder von Kindern. Von Mama. Ungefähr zehn Jahre jünger als jetzt. Und ein Mann, den er als seinen Vater wiedererkannte. Der Mann schob die Kinder auf Schaukeln an. Auf einem Bild hatte er einen viel zu kleinen Cowboyhut aufgesetzt. Jimmy, vielleicht neun Jahre alt, stand mit einem Plastikgewehr in den Händen und düsterer Miene neben ihm. Ein kleiner Junge, der Jonny sein musste, saß neben ihnen auf der Erde und betrachtete die beiden mit großen Augen.
    »Ich durfte es mir ausleihen, bis wir uns das nächste Mal sehen. Er wollte es zurückhaben, hat gesagt, es ist … ja, verdammt, was hat er noch gesagt … ›sein teuerstes Stück‹, hat er, glaube ich, gesagt. Ich hab mir gedacht, es könnte auch für dich interessant sein.«
    Jonny nickte, ohne von dem Album aufzublicken. Er hatte seinen Vater nur zweimal gesehen, seit er ihre Mutter verlassen hatte, als Jonny vier Jahre alt war. Zu Hause gab es ein einziges Foto von ihm, ein ziemlich schlechtes Bild, auf dem er mit anderen Menschen zusammensaß. Das hier war etwas vollkommen anderes. Hier konnte man sich irgendwie ein richtiges Bild von ihm machen.
    »Noch etwas. Zeig das bloß nicht unserer Alten. Ich glaub irgendwie, Papa hat es mitgehen lassen, als er abgehauen ist, und wenn sie es sieht … tja, also er will es jedenfalls gerne behalten. Du musst mir versprechen, es nicht Mama zu zeigen.«
    Immer noch mit der Nase in dem Fotoalbum, ballte Jonny seine Faust und hielt sie über den Tisch. Jimmy lachte auf, und unmittelbar darauf spürte Jonny Jimmys Knöchel an seinen. Promise.
    »Hör mal, das kannst du dir auch noch später angucken. Hier, nimm die Tüte.«
    Jimmy hielt ihm die Tüte hin, und Jonny schlug widerwillig das Fotoalbum zu, schob es in die Tüte. Jimmy war mit seiner Pizza fertig, lehnte sich auf dem Stuhl zurück und strich sich über den Bauch.
    »Und. Was machen die Weiber?«
    *
    Das Dorf sauste vorbei. Schnee, der von den Rädern des Mopeds aufgewirbelt wurde, spritzte nach hinten und bombardierte Oskars Wangen. Er umklammerte mit beiden Händen den Holzstab, machte einen Schlenker zur Seite, aus der Schneewolke heraus. Ein schneidendes Scharren, als die Skier den lockeren Schnee

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