So finster die Nacht
Krankenblättern aus Karlstad zu bestätigen, dass die Person auf dem Foto der gleiche Mann war, der bis zur letzten Nacht an sein Krankenbett gefesselt gewesen war, und tatsächlich: Er war es.
Am Sonntagnachmittag traf man sich im Präsidium zu einer Besprechung. Man hatte damit gerechnet, in aller Ruhe ermitteln zu können, was der verstorbene Mann getrieben hatte, seit er Karlstad verließ, herauszufinden, ob seine Taten Teil eines größeren Zusammenhangs waren, ob weitere Opfer seinen Weg pflasterten.
Doch nun hatte sich die Lage verändert.
Der Mann lebte noch und war auf freiem Fuß, weshalb die Polizei im Moment ihre wichtigste Aufgabe darin sah, herauszufinden, wo der Mann gewohnt hatte, weil eine gewisse Chance bestand, dass er versuchen würde, dorthin zurückzukehren. Sein Fußmarsch in Richtung westliche Vororte mochte zumindest darauf hindeuten.
Also beschloss man, falls der Mann bis zur Pressekonferenz nicht gefasst worden war, würde man sich den zwar etwas unzuverlässigen, aber ach so vielköpfigen Spürhund Öffentlichkeit zunutze machen.
Immerhin bestand die Möglichkeit, dass ihn jemand gesehen hatte, als er noch so aussah wie auf dem Foto, und womöglich wusste, wo er ungefähr gewohnt hatte. Außerdem, doch das war natürlich zweitrangig, brauchte man dringend etwas, das man den Massenmedien vor die Füße werfen konnte.
Also saßen dort die drei Polizeibeamten an dem langen Tisch auf dem Podium, und ein Raunen ging durch die Reihen der versammelten Journalisten, als der Polizeichef mit einer einfachen Geste, von der er wusste, dass sie die dramatisch effektvollste war, das vergrößerte Schulfoto von Håkan Bengtsson hochhielt und sagte:
»Der Mann, den wir suchen, heißt Håkan Bengtsson, und ehe sein Gesicht entstellt wurde, sah er … so aus.«
Der Polizeichef machte eine Pause, während die Kameras klickten und das Blitzlichtgewitter den Raum für einige Sekunden in ein Stroboskop verwandelte.
Es gab selbstverständlich Kopien von dem körnigen Bild, die anschließend an die Journalisten verteilt werden sollten, aber vor allem die ausländischen Zeitungen würden sich vermutlich für das emotional vielsagendere Bild des Polizeichefs mit dem Mörder – sozusagen – in seiner Hand entscheiden.
Als alle ihre Fotos bekommen und der Ermittler und der Fahndungsleiter Bericht erstattet hatten, war die Zeit gekommen, um Fragen zu stellen. Als Erster erhielt ein Journalist von Dagens Nyheter das Wort.
»Wann rechnen Sie damit, den Mann verhaften zu können?«
Der Polizeichef atmete einmal tief durch, beschloss, sein Ansehen aufs Spiel zu setzen, lehnte sich zum Mikrofon vor und sagte:
»Spätestens morgen.«
*
»Hi.«
»Hallo.«
Oskar ging vor Eli ins Wohnzimmer, um die Schallplatte zu holen, die er sich überlegt hatte. Er blätterte in Mamas schmaler Plattensammlung und fand sie. Die Wikinger. Die ganze Gruppe stand in etwas, das ein Skelett eines Wikingerschiffs zu sein schien, und in ihren glänzenden Anzügen wirkten die Musiker dort völlig deplatziert.
Eli kam nicht. Mit der Platte in der Hand ging Oskar in den Flur zurück. Sie stand noch immer vor der Wohnungstür.
»Oskar. Du musst mich einladen.«
»Aber … das Fenster. Du bist doch schon …«
»Das hier ist ein neuer Eingang.«
»Aha. Du darfst …«
Oskar verstummte, leckte sich die Lippen, betrachtete die Platte. Das Bild auf dem Umschlag war bei Dunkelheit mit Blitzlicht aufgenommen worden, und die Wikinger leuchteten wie eine Gruppe von Heiligen, die soeben an Land gehen wollten. Er machte einen Schritt auf Eli zu, zeigte ihr die Platte.
»Guck mal. Das sieht aus, als wären sie im Bauch eines Wals oder so.«
»Oskar …«
»Ja?«
Eli rührte sich nicht und sah mit schlaff herabhängenden Armen Oskar an. Er grinste, ging zur Tür, strich mit der Hand durch die Luft zwischen Türrahmen und Schwelle, vor Elis Gesicht.
»Was denn? Ist hier vielleicht etwas?«
»Fang nicht so an.«
»Aber jetzt mal im Ernst. Was passiert, wenn ich es nicht tue?«
»Fang. Es. Nicht. An.« Eli lächelte dünn. »Willst du es sehen? Was passiert? Ja? Willst du das?«
Eli sagte dies auf eine Art, die offensichtlich darauf abzielte, Oskar Nein sagen zu lassen; die Verheißung von etwas Schrecklichem. Aber Oskar schluckte und sagte: »Ja. Das will ich! Lass sehen!«
»Du hast auf den Zettel geschrieben, dass …«
»Ja, das habe ich. Aber jetzt lass mal sehen! Was passiert?«
Eli kniff die Lippen zusammen, dachte
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