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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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er würde schlafen, bis es vorbei war.
    Doch das war wohl nur ein frommer Wunsch.
    *
    Die Sonne holte Eli am Durchgang ein, war eine glühende Zange, die sein gemartertes Ohr packte. Instinktiv wich er in den Schatten des Durchgangs zurück, presste die drei Plastikflaschen mit Brennspiritus an die Brust, als wollte er auch sie vor der Sonne schützen.
    Zehn Schritte entfernt lag sein eigener Hauseingang. Zwanzig Schritte Oskars. Und dreißig Schritte Tommys.
    Das geht nicht.
    Nein. Wenn er gesund und stark gewesen wäre, hätte er unter Umständen den Versuch gewagt, bis zu Oskars Hauseingang zu gelangen, schnurstracks durch die Lichtflut, die mit jeder Sekunde, die er jetzt wartete, stärker wurde. Aber nicht bis zu Tommys. Und nicht jetzt.
    Zehn Schritte. Dann ins Haus. Das große Fenster im Treppenhaus. Wenn ich stolpere. Wenn die Sonne …
    Eli lief los.
    Die Sonne stürzte sich auf ihn wie ein hungriger Löwe, verbiss sich in seinem Rücken. Eli verlor fast das Gleichgewicht, als er von der physischen, tosenden Macht der Sonne nach vorn geschleudert wurde. Die Natur spie ihre Verabscheuung über seinen Verstoß aus; sich auch nur für einen Moment im Tageslicht zu zeigen.
    Es zischte, brodelte wie von kochendem Öl auf Elis Rücken, als er die Tür erreichte, sie aufriss. Der Schmerz raubte ihm fast die Sinne, und er bewegte sich wie jemand, der unter Drogen stand, blind zur Treppe; wagte aus Furcht, sie könnten schmelzen, nicht die Augen zu öffnen.
    Er verlor eine der Flaschen, hörte sie über den Fußboden rollen. Nichts zu machen. Mit gesenktem Kopf, einen Arm um die verbliebenen Flaschen gelegt, den anderen auf dem Treppengeländer, hinkte er die Treppen hinauf, erreichte den Treppenabsatz. Noch eine Treppe.
    Durch das Fenster versetzte ihm die Sonne mit ihrer Tatze einen letzten Schlag in den Nacken, schnappte nach ihm, biss ihn in die Schenkel, Waden, Fersen, während er die Treppe hinaufstieg. Er brannte. Es fehlten nur noch die Flammen. Es gelang ihm, die Tür zu öffnen, er fiel in die herrliche, kühle Dunkelheit dahinter und schlug die Tür hinter sich zu. Aber es war nicht dunkel.
    Die Küchentür stand offen, und in der Küche hingen keine Decken vor den Fenstern. Das Licht war dennoch gedämpfter, grauer als das, dem er sich gerade ausgesetzt hatte, und ohne zu zögern, ließ Eli die Flaschen zu Boden fallen und ging weiter. Während das Licht auf seinem schlurfenden Weg durch den Flur zum Badezimmer verhältnismäßig zärtlich über seinen Rücken schürfte, stieg ihm der Geruch verbrannten Fleisches in die Nase.
    Ich werde nie mehr heil werden.
    Er streckte den Arm aus, öffnete die Badezimmertür und kroch in die kompakte Dunkelheit. Er schob ein paar Plastikkanister zur Seite, schloss die Tür hinter sich, verriegelte sie.
    Ehe er in die Badewanne glitt, dachte er noch:
    Ich habe die Wohnungstür nicht abgeschlossen.
    Doch da war es schon zu spät. Die Ruhe schaltete ihn in dem Moment ab, in dem er in der feuchten Dunkelheit versank. Er hätte ohnehin nicht mehr genug Kraft gehabt.
    *
    Tommy saß still, in die Ecke gepresst. Er hielt den Atem an, bis seine Ohren zu rauschen begannen und Sternschnuppen die Nacht vor seinen Augen durchkreuzten. Als er die Kellertür zuschlagen hörte, wagte er die Luft mit einem langgezogenen Keuchen entfahren zu lassen, das zwischen den Betonwänden widerhallte, dann erstarb.
    Es war vollkommen still. Die Dunkelheit war so total, dass sie Masse, Gewicht hatte.
    Er hob eine Hand vor sein Gesicht. Nichts. Kein Unterschied. Er strich sich übers Gesicht, als wollte er sich vergewissern, dass er überhaupt existierte. Doch. Unter den Fingerspitzen fühlte er seine Nase, seine Lippen. Es war unwirklich. Sie flimmerten unter seinen Fingern vorbei, verschwanden.
    Die kleine Figur in seiner anderen Hand erschien ihm lebendiger, wirklicher als er selbst. Er umklammerte sie, hielt sich an sie.
     
    Zuvor hatte Tommy den Kopf zwischen die Knie gesenkt, die Augen fest geschlossen, die Hände auf die Ohren gepresst, um nicht wissen, nicht hören zu müssen, was in dem Kellerraum vorging. Es hatte sich angehört, als würde das kleine Mädchen ermordet. Er hatte nichts tun können, nicht den Mut gehabt, und deshalb hatte er versucht, die gesamte Situation zu leugnen, indem er verschwand.
    Er war mit seinem Vater zusammen gewesen. Auf dem Fußballplatz, im Wald, im Kanaanbad. Schließlich hatte er in der Erinnerung an den Tag auf dem Råckstafeld verweilt, an dem er und

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