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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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hinterher.
    Er würde ihn vermutlich verpfeifen, aber das spielte keine Rolle. Nicht die geringste.
     
    Tauben flatterten in grauen Schwärmen auf, als er in Vällingby über den Platz hastete. Eine Frau mit Kinderwagen rümpfte die Nase über ihn; wieder so einer, dem Tiere völlig egal waren. Aber er hatte es eilig, und was zwischen ihm und seinem Ziel lag, waren nur Requisiten, die ihm im Weg standen.
    Vor dem Spielzeuggeschäft blieb er stehen, sah ins Schaufenster. Schlümpfe standen in einer zuckersüßen Landschaft aufgestellt. Für so etwas war er zu alt. In einer Kiste zu Hause lagen ein paar Big Jim-Puppen, mit denen er oft gespielt hatte, als er noch klein war.
    Noch vor einem Jahr.
    Ein elektronisches Klingelsignal ertönte, als er die Tür zum Spielzeuggeschäft aufzog. Er ging durch einen engen Gang, in dem die Regale mit Plastikpuppen, Kampffiguren und Verpackungen mit Modellbausätzen gefüllt waren. Gleich neben der Kasse standen Kartons mit Gussformen für Zinnsoldaten. Den Zinn bekam man an der Kasse.
    Was er haben wollte, befand sich auf der eigentlichen Ladentheke.
    Ja, die Kopien standen unter den Plastikpuppen aufgestapelt, aber bei den Originalen, mit der Unterschrift Rubiks, des Erfinders, auf der Verpackung, waren sie vorsichtiger. Sie kosteten neunundachtzig Kronen das Stück.
    Ein kleiner, untersetzter Mann stand mit einem Lächeln hinter der Verkaufstheke, das Oskar als »devot«, bezeichnet hätte, wenn ihm das Wort geläufig gewesen wäre.
    »Und … hat man etwas Besonderes im Auge?«
    Oskar hatte gewusst, dass die Würfel auf der Theke stehen würden, hatte einen Plan.
    »Ja. Ich wollte fragen … Lackfarben. Für die Zinnsachen.«
    »Ja?«
    Der Mann machte eine Geste zu den Reihen winzig kleiner Farbtöpfe, die hinter ihm standen. Oskar lehnte sich vor, legte die Finger der einen Hand direkt vor den Würfeln auf die Theke, während er mit dem Daumen die Tasche festhielt, die geöffnet darunter hing. Er tat so, als würde er zwischen den Farben suchen.
    »Gibt es auch Gold?«
    »Gold, ja natürlich.«
    Als sich der Mann umdrehte, nahm Oskar einen der Würfel, legte ihn in die Tasche und schaffte es mit knapper Not, die Hand wieder in die gleiche Position zu bringen wie zuvor, bevor sich der Mann mit zwei Farbtöpfen zu ihm umdrehte, die er auf die Ladentheke stellte. Oskars Herz pochte Hitze auf Wangen, Ohren.
    »Matt oder metallic.«
    Der Mann blickte zu Oskar auf, der spürte, dass sein ganzes Gesicht ein einziges Warnblinklicht war, auf dem »Hier ist ein Dieb« geschrieben stand. Um seine geröteten Wangen nicht zur Schau zu stellen, beugte er sich über die Farbtöpfe, sagte: »Metallic … sieht gut aus.«
    Er hatte zwanzig Kronen. Die Farbe kostete neunzehn. Er bekam sie in einer kleinen Tüte, die er in seine Jackentasche stopfte, um die Schultasche nicht öffnen zu müssen.
    Vor dem Geschäft kam wie immer der Kick, aber stärker als sonst. Er entfernte sich trabend von dem Geschäft wie ein freigekaufter Sklave, den man erst kürzlich von seinen Ketten befreit hatte. Er konnte es nicht lassen, zum Parkplatz zu laufen und im Schutze zweier Autos vorsichtig die Verpackung zu öffnen und den Würfel herauszuholen.
    Er war wesentlich schwerer als die Kopie, die er selber besaß. Die Sektionen glitten wie auf Kugellagern. Waren es vielleicht sogar Kugellager? Nun, er hatte nicht vor, ihn auseinander zu nehmen, und dabei zu riskieren, ihn kaputtzumachen.
    Seit der Würfel nicht mehr in ihm lag, war der Karton nichts als ein hässliches Ding aus durchsichtigem Plastik, und als er den Parkplatz verließ, warf er ihn in eine Mülltonne. Der Würfel ohne Verpackung war schöner. Er steckte ihn in die Jackentasche, um mit den Fingern über ihn streichen, mit seinem Gewicht in der Hand spielen zu können. Es war ein gutes Geschenk, ein schönes … Abschiedsgeschenk.
    In der Eingangshalle der U-Bahn-Station blieb er stehen.
    Wenn Eli denkt … dass ich …
    Ja. Dass er, indem er Eli etwas schenkte, gleichsam akzeptierte, dass Eli fortging. Ein Abschiedsgeschenk überreichen, schön, das war’s. Tschüss, tschüss. So war es doch gar nicht. Er wollte doch absolut nicht, dass …
    Sein Blick schweifte durch die Halle, fiel auf den Zeitungskiosk. Den Zeitungsständer. Expressen. Ein großes Foto von dem Typen, der mit Eli zusammengewohnt hatte, nahm die gesamte Titelseite ein.
    Oskar ging hin und blätterte in der Zeitung. Fünf Seiten waren der Jagd im Judarnwald gewidmet … der

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