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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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die Chance, ein anderer zu sein, etwas anderes zu sagen als zu anderen.
    Wie stellt man es eigentlich an? Dass einen jemand mag?
    Auf der Uhr, die auf dem Schreibtisch stand, war es Viertel nach sieben. Er schaute in das Laub, versuchte neue Figuren zu finden, hatte einen kleinen Zwerg mit spitzer Mütze sowie einen auf dem Kopf stehenden Troll ausgemacht, als an die Wand geklopft wurde.
    Tock-tock-tock.
    Ein vorsichtiges Klopfen. Er gab Antwort.
    Tock-tock-tock.
    Wartete. Ein paar Sekunden später ertönte ein neuerliches Klopfen.
    Tock-tocktocktock-tock.
    Er ergänzte die beiden fehlenden: tock-tock.
    Wartete. Kein weiteres Klopfen.
    Er nahm den Zettel mit dem Morsealphabet, zog seine Jacke an, verabschiedete sich von Mama und ging zum Spielplatz hinunter. Er war erst auf halbem Weg, als sich Elis Haustür öffnete und sie herauskam. Sie trug Turnschuhe, eine Jeans und einen schwarzen Collegepullover, auf dem mit Silberschrift »Star Wars« stand.
    Erst dachte er, es wäre sein eigener Pullover; er hatte den gleichen, hatte ihn vorgestern getragen, jetzt war er in der Wäsche. Hatte sie sich etwa nur deshalb den gleichen gekauft, weil er so einen hatte?
    »Hi.«
    Oskar öffnete den Mund, um das »Hallo« zu sagen, das ihm schon auf den Lippen gelegen hatte, schloss wieder den Mund. Öffnete ihn erneut, um »hi« zu sagen, überlegte es sich dann aber anders und sagte schließlich doch »hallo«.
    Eli bekam eine steile Falte zwischen den Augenbrauen.
    »Was ist mit deiner Wange passiert?«
    »Ach, ich … bin gefallen.«
    Oskar ging weiter Richtung Spielplatz, Eli folgte ihm. Er ging am Klettergerüst vorbei, setzte sich auf eine Schaukel. Eli setzte sich auf die Nachbarschaukel. Schweigend schwangen sie eine Weile vor und zurück.
    »Das hat jemand getan, nicht wahr?«
    Oskar schaukelte ein paarmal.
    »Ja.«
    »Wer?«
    »Ein paar … Freunde.«
    »Freunde?«
    »Ein paar aus meiner Klasse.«
    Oskar gab der Schaukel mehr Schwung, griff den Faden auf.
    »In welche Schule gehst du eigentlich?«
    »Oskar.«
    »Ja?«
    »Halt mal an.«
    Er bremste mit den Füßen, schaute vor sich auf die Erde.
    »Ja, was ist?«
    »Du …«
    Sie streckte ihre Hand aus, ergriff seine, und er stoppte endgültig, sah Eli an. Ihr Gesicht war vor den erleuchteten Fenstern hinter ihr kaum mehr als eine Silhouette. Natürlich war es Einbildung, aber er hatte das Gefühl, dass ihre Augen leuchteten. Zumindest waren sie das Einzige, was er von ihrem Gesicht deutlich erkennen konnte.
    Mit der anderen Hand berührte sie die Wunde, und das Seltsame geschah. Ein anderer, ein viel älterer, härterer Mensch presste sich gegen die Innenseite ihrer Haut. Oskar lief ein kalter Schauer über den Rücken, als hätte er in ein Eis gebissen.
    »Oskar. Lass das nicht zu. Hörst du? Lass das nicht zu.«
    »… nein.«
    »Du musst zurückschlagen. Du hast noch nie zurückgeschlagen, oder?«
    »Nein.«
    »Fang jetzt damit an. Schlag zurück. Hart.«
    »Sie sind zu dritt.«
    »Dann musst du härter zuschlagen. Benutze Waffen.«
    »Ja.«
    »Steine. Stöcke. Schlag sie mehr, als du dich eigentlich traust. Dann hören sie auf.«
    »Und wenn sie zurückschlagen?«
    »Du hast ein Messer.«
    Oskar schluckte. In diesem Moment, mit Elis Hand in seiner, mit ihrem Gesicht vor sich, schien alles so selbstverständlich. Aber wenn sie schlimmere Dinge machten, sobald er Widerstand leistete, wenn sie …
    »Ja. Aber was ist, wenn sie …«
    »Dann helfe ich dir.«
    »Du? Du bist doch …«
    »Ich kann dir helfen, Oskar. Das … kann ich.«
    Eli drückte Oskars Hand. Er erwiderte ihren Händedruck, nickte. Aber Elis Griff wurde noch fester. So fest, dass es ein bisschen wehtat. Wie stark sie ist.
    Eli löste ihren Griff, und Oskar zog den Zettel heraus, den er in der Schule geschrieben hatte, strich ihn glatt und reichte ihn ihr. Eli runzelte die Stirn.
    »Was ist das?«
    »Komm, wir gehen ins Licht.«
    »Nein, ich kann es sehen. Aber was ist es?«
    »Das Morsealphabet.«
    »Ja, ja. Schon klar. Super. «
    Oskar kicherte. Sie sagte es so unglaublich … wie hieß das? … gekünstelt. Das Wort passte irgendwie nicht in ihren Mund.
    »Ich dachte mir … dann können wir … uns besser durch die Wand unterhalten.«
    Eli nickte und schien zu überlegen, was sie als Nächstes sagen sollte. Meinte dann:
    »Das ist schön.«
    »Echt klasse?«
    »Ja. Echt klasse. Echt klasse.«
    »Du bist ein bisschen verrückt, weißt du das?«
    »Bin ich?«
    »Ja. Aber das ist schon okay.«
    »Dann

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