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So finster die Nacht

So finster die Nacht

Titel: So finster die Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Ajvide Lindqvist
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hatte geschaukelt und gefroren. Keine Eli. Gegen neun hatte er gesehen, dass Mama am Fenster stand und herausschaute, und war voller schlimmer Vorahnungen hineingegangen. Dallas und Schokolade und Zimtschnecken, und Mama hatte ihn fragend angesehen, sodass er sich ihr fast anvertraut hätte, aber dann tat er es doch nicht.
    Jetzt war es kurz nach zwölf, und er stand mit einem Loch im Bauch am Fenster. Er öffnete es einen Spaltbreit, atmete die kalte Nachtluft ein. Hatte er tatsächlich nur ihretwegen beschlossen, dagegen anzukämpfen? Ging es gar nicht um ihn selbst?
    Doch.
    Aber ihr zuliebe.
    Leider. So war es. Wenn sie sich am Montag auf ihn stürzten, würde er nicht den Willen, die Kraft, die Lust haben, sich zu wehren. Das wusste er. Dann würde er nicht zu diesem Training am Donnerstag gehen. Weil es keinen Grund dafür gab.
    Er ließ das Fenster in der vagen Hoffnung offen stehen, dass sie heute Nacht zurückkommen und nach ihm rufen würde. Wenn sie mitten in der Nacht aus dem Haus ging, konnte sie auch mitten in der Nacht zurückkommen.
    Oskar zog sich aus und ging ins Bett. Er klopfte an die Wand. Keine Antwort. Er zog sich die Decke über den Kopf und kniete im Bett, faltete die Hände, presste seine Stirn gegen sie und flüsterte:
    »Bitte, lieber Gott. Lass sie zurückkommen. Du bekommst alles, was du willst. All meine Zeitschriften, all meine Bücher, all meine Sachen. Was immer du willst. Aber mach, dass sie wieder zurückkommt. Zu mir. Bitte, lieber Gott.«
    Er blieb zusammengekauert unter der Decke liegen, bis es so heiß wurde, dass er schwitzte. Dann steckte er den Kopf wieder hinaus, legte ihn aufs Kissen. Kauerte sich wie ein Fötus zusammen und schloss die Augen. Er sah Bilder von Eli, von Jonny und Micke, von Tomas. Mama. Papa. Lange Zeit lag er so im Bett und beschwor Bilder herauf, die er sehen wollte, dann begannen sie, ein Eigenleben zu führen, während er in den Schlaf abglitt.
     
    Eli und er saßen auf einer Schaukel, die immer höher schaukelte. Höher und höher, bis sie sich von ihren Ketten löste, zum Himmel hinaufflog. Sie hielten die Ränder der Schaukel fest umklammert, ihre Knie lagen aneinander gepresst, und Eli flüsterte:
    »Oskar. Oskar …«
    Er schlug die Augen auf. Der Globus war ausgeschaltet, und das Mondlicht färbte alle Dinge blau. Gene Simmons betrachtete ihn von der gegenüberliegenden Wand und streckte ihm seine lange Zunge heraus. Er kauerte sich zusammen, schloss die Augen. Da hörte er von Neuem das Flüstern.
    »Oskar …«
    Es kam vom Fenster. Er öffnete die Augen, schaute dorthin. Auf der anderen Seite des Fensters sah er die Konturen eines kleinen Kopfes. Er schlug die Decke zur Seite, aber noch ehe er das Bett verlassen hatte, flüsterte Eli:
    »Warte. Bleib liegen. Darf ich hereinkommen?«
    Oskar flüsterte: »Jaaa …«
    »Sag, dass ich hereinkommen darf.«
    »Du darfst hereinkommen.«
    »Mach die Augen zu.«
    Oskar kniff die Augen zusammen. Das Fenster schwang auf; kalte Luft zog durchs Zimmer. Das Fenster wurde vorsichtig geschlossen. Er hörte Eli atmen, flüsterte:
    »Darf ich jetzt gucken?«
    »Warte.«
    Die Bettcouch im anderen Zimmer knarrte. Mama stand auf. Oskar hatte immer noch die Augen geschlossen, als die Decke fortgezogen wurde und sich ein kalter, nackter Körper hinter ihn schob, die Decke über sie beide zog und sich hinter seinem Rücken zusammenkauerte.
    Die Tür zu seinem Zimmer wurde geöffnet.
    »Oskar?«
    »Mmm?«
    »Hast du geredet?«
    »Nee.«
    Mama blieb im Türrahmen stehen, lauschte. Eli lag ganz still hinter seinem Rücken, presste ihre Stirn zwischen seine Schulterblätter. Ihre Atemzüge strömten sein Rückgrat hinab.
    Mama schüttelte den Kopf.
    »Dann müssen es diese Nachbarn gewesen sein.« Sie lauschte noch einen Moment, sagte dann: »Gute Nacht, mein Schatz«, und schloss die Tür.
    Oskar war mit Eli allein. Hinter seinem Rücken hörte er ein Flüstern.
    »Diese Nachbarn?«
    »Psst.«
    Es knarrte, als Mama sich wieder auf die Bettcouch legte. Er schaute zum Fenster. Es war geschlossen.
    Eine kalte Hand schob sich über seine Taille, wurde auf seine Brust, sein Herz gelegt. Er presste seine beiden Hände auf die Hand, wärmte sie. Die zweite Hand zwängte sich unter seiner Achselhöhle hindurch, zu seiner Brust hinauf und zwischen seine Hände. Eli drehte den Kopf und legte ihre Wange auf seinen Rücken.
    Ein neuer Duft war ins Zimmer gekommen. Der schwache Duft von Papas Frachtmoped, wenn er gerade getankt

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