So finster, so kalt
skeptisch, doch ihre Antwort konnte Hans nicht mehr verstehen. Er war erleichtert, dass der Pfarrer in Gretas Namen sprach. Auf ihn hörte Mutter. Mehr noch als auf seinen Vater. Was der Pater sagte, war auch vernünftig, wie Hans fand. Seine Mutter bekam bald wieder ein Kind, und außer Hans waren die Geschwister alle noch viel zu klein, um eine große Hilfe zu sein. Seine Mutter würde merken, dass Greta ihr nichts Böses antat, und Hans freute sich darauf, endlich wieder eine Schwester in seinem Alter zu haben, die ihn nicht mit albernen Kinderspielen behelligte.
Doch Hans’ Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen, ganz im Gegenteil. Zu Beginn gab sich seine Mutter sogar Mühe, sich mit Greta anzufreunden. Obwohl sie ganz und gar nicht mit der Wahl des Namens für das Mädchen einverstanden war, weil es ihrer Meinung nach das Andenken ihrer leiblichen Tochter beschmutzte, blieb es schnell dabei.
Allerdings: Greta war merkwürdig. Auch das musste Hans zugeben. Sie war nicht faul und ließ sich zögerlich, aber folgsam zur Hausarbeit anleiten, doch sie konnte nichts. Als hätte sie noch nie gewebt oder gestopft, gekocht oder gebacken, gewaschen oder geputzt.
Außerdem starrte sie allen Leuten unentwegt ins Gesicht. Den meisten war das unangenehm. Sie forderten das Mädchen auf, das Starren zu unterlassen, hatten jedoch keinen Erfolg. Nur manche Burschen – besonders die, die etwas älter waren als Hans – fühlten sich geschmeichelt von ihren Blicken und machten zotige Bemerkungen, wenn die Erwachsenen nicht in der Nähe waren. Manchmal lächelte Greta einen der jungen Männer ganz seltsam an. Dann wurden die unsicher und machten sich davon.
Schon ein paar Tage nach Gretas Einzug kam es zu einem heftigen Streit zwischen Hans’ Eltern. Hans hörte zufällig, wie sein Vater die Stimme erhob. Das war so ungewöhnlich, dass er nicht anders konnte, als den Rechen, mit dem er gerade den Auslauf der Hühner sauber machte, zur Seite zu legen, und näher ans halb geöffnete Fenster zu treten.
»Mach mir nichts vor!«, kreischte seine Mutter gerade. »Das ist kein normales Kind! Das ist ein Dämon in Menschengestalt! Jeder sagt das, jeder im Dorf erkennt das. Nur in deinen verbohrten Holzkopf will das nicht hinein!«
»Unfug!«, schrie Hans’ Vater.
»Aber ihre Augen leuchten rot, wenn man schnell genug hinschaut. Wir haben es alle schon gesehen!«
»Hör auf mit deinem abergläubischen Geschwätz, Weib! Du hast gehört, was Pater Gangolf gesagt hat. Wenn er aus Lörrach zurückkehrt, wird er das Mädchen mitnehmen, und dann ist die Sache ausgestanden. Wirst du bis dahin noch Geduld haben!«
»Und mir ansehen, wie diese Teufelsbrut meinen Mann verhext? Niemals!«
»Sie hat doch nichts …«
»Was hat sie nicht, Mann? Glaubst du, ich habe nicht mitbekommen, wie sie versucht, dich zu verhexen?«
»Du siehst Gespenster. Sie versucht, freundlich zu sein.«
»Diese Art von Freundlichkeit kenne ich.«
Hans fragte sich, was seine Mutter damit meinte. Er fand, dass sein Vater recht hatte.
»Als ob ich …«
»Natürlich nicht. Anna ist dir damals auch nur
zur Hand
gegangen. Besonders, wenn es darum ging, deine Beinkleider auszuziehen!«
»Martha, ich …«
»Schaff das Balg fort. Heute noch! Keine weitere Diskussion! Bevor es Unglück über uns alle bringt!«
Es wurde still. Hans schlich sich vom Fenster fort und nahm den Rechen wieder zur Hand. Er hatte nicht ganz verstanden, was seine Mutter befürchtete. War sie eifersüchtig auf Greta, weil er und sein Vater sie mochten? So wie die böse Stiefmutter in den Märchen, die seine Großmutter früher erzählt hatte? Greta hatte nichts getan. Trotzdem war seine Mutter böse auf sie.
Bevor er weiter darüber nachgrübeln konnte, hörte er, wie sein Vater ihn rief. Dann sah er ihn schon mit hochrotem Kopf über den Hof stapfen.
»Ich bin hier, Vater, im Hühnerstall.«
»Wo ist Greta?«
»Sie bringt Eier zum Pfarrhaus, damit Pfarrer Gangolf bei seiner Rückkehr frische Eier vorfindet.«
»Pack dir und dem Mädchen eine Brotzeit ein. Ich nehme euch mit.«
Hans machte große Augen. Es war schon früher Abend, und sein Vater musste gleich zur Gemeindeversammlung. »Wohin gehen wir?«
»Ich muss noch mal Holz holen. Ihr sollt mir tragen helfen.«
Hans nickte und ging in den Schuppen, um die Kiepen zu holen, die sein Vater im letzten Sommer für ihn und seine verstorbene Schwester Greta hatte anfertigen lassen. Sie sammelten darin Reisig und Kleinholz,
Weitere Kostenlose Bücher