Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
Vom Netzwerk:
sie wusste, dass es sinnlos war. Er würde sich melden, sobald er Genaueres zu seiner Rückkehr wusste, und versprach zudem hoch und heilig, keine technischen Geräte mehr in kanadischen Gewässern zu versenken. »Bis bald, mein Mädchen«, sagte er eindringlich. »Und denk an das Haus.« Dann beendete er die Verbindung.
    Merle erhob sich vom Schreibtisch. Obwohl sie ihrem Vater eine längere Reise gegönnt hätte, war sie erleichtert, endlich mit ihm gesprochen zu haben, und freute sich darauf, ihn bald wieder in die Arme zu schließen.
    Mit einer Flasche Wein und dem Text über Hans kuschelte sie sich auf die Couch und las. Ihr war immer noch, als spräche ihr Vorfahre zu ihr, so lebendig hatte sie seine Schilderungen vor Augen.
    Haus im Wald – Steinberg, Herbst 1604
    Hans träumte. Worte glitten durch seinen Verstand, als wären es seine eigenen. Doch er dachte sie nicht. Sie wurden ihm eingegeben, von einer höheren Macht, die er nicht verstand.
    Du wirst dich ihm niemals nähern. Nicht auf fünfzig Schritt sollst du herankommen, solange ich oder einer der Meinen auf dieser Erde wandelt. Es sei denn, eine gute Seele steht dir bei. Dann wird das unser gemeinsames Ende sein.
    Er erwachte in völliger Dunkelheit. Er erinnerte sich an einen schwachen, bittersüßen Duft, der ihm in die Nase geweht worden war. Er holte tief Luft – und würgte. Der Gestank, der ihm in die Nase schoss, raubte ihm den Atem. Er hustete und wäre vor Schmerz beinahe erneut ohnmächtig geworden. Sein gesamter Körper brannte. Mit kleinen vorsichtigen Bewegungen tastete er erst sein Gesicht und dann seine Seite ab. Sehr zu seiner Verwunderung spürte er eine feuchte Wunde mit Schorf an den Rändern und getrocknetes Blut auf seiner Haut. Wie lange hatte er hier gelegen?
    Nach und nach kehrte seine Erinnerung zurück. Fahles Mondlicht fiel in das Schlafgemach. Greta sah er nirgends und hörte sie auch nicht. War sie tatsächlich fort? Hatte Gott seine Gebete endlich erhört? Er wagte es kaum zu glauben.
    Zaghaft lauschte er in die Nacht, bis er ein leises flaches Atmen vernahm. Das musste der Säugling sein! Er lebte! Sein Sohn lebte!
    Hans biss die Zähne zusammen, versuchte den Schmerz zu ignorieren und kroch vorsichtig auf allen vieren umher, bis er an das winzige Kind stieß. Seine Haut war eiskalt. Es gab keinen Laut von sich und regte sich kaum, als Hans es an seine Brust presste und die Hände schützend um den kleinen Körper legte. Ohne zu zögern begann er, den Kleinen mit den Fingern abzutasten und warm zu reiben. Er war viel kleiner als jedes Kind, das er je gesehen hatte, aber dennoch … vollständig wie ein Mensch.
    Der Winzling zappelte und gluckerte. Hans wiegte ihn und sprach leise auf ihn ein. Dabei versuchte er, auf die Beine zu kommen, was ihm erst nach mehreren Versuchen gelang. Als er den Raum verließ, entdeckte er einen Schlüssel im Türschloss, der von innen steckte. Er wunderte sich kurz. Greta hatte ihm doch verboten, den Raum zu betreten. Warum hatte sie sich dennoch eingeschlossen? Warum war die Tür offen gewesen, als ihre Schreie ihn aus dem Schlaf geschreckt und zu ihr geführt hatten?
    Er verstand es nicht, aber das war vielleicht auch nicht so wichtig. Er zog den Schlüssel ab, verriegelte damit den Raum von außen und legte ihn dann oben auf den Türrahmen.
    Als er die Treppe hinabging, bemerkte er, dass der Säugling sich etwas mehr bewegte. Hans trug ihn in die Stube, wo in der Esse die Glut brannte. Wenn er es vermeiden konnte, ließ er das Feuer niemals ausgehen, schon gar nicht um diese Jahreszeit. Es wurde Herbst.
    Ohne das Kind abzulegen, warf er Kleinholz in die Glut, nahm den Schürhaken und entfachte mit wenigen geübten Handgriffen das Feuer. Dann legte er Holzscheite nach, und schon nach kurzer Zeit war der Raum von einem warmen rötlichen Licht erfüllt.
    Da bemerkte Hans ein Zupfen an seiner Brust. Er schaute hinab in die riesigen Augen des Säuglings. Sie waren so dunkel wie Gretas, doch mit ein paar hellbraunen Sprenkeln um die Iris. Der Winzling öffnete den Mund und gluckste. Es klang unwillig. Dann streckte er sich ein wenig und zupfte wieder an Hans’ Brustwarze.
    Hans überlegte fieberhaft, während er mit seinem Sohn im Arm auf und ab ging.
Sein Sohn.
Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Stolz. Mit dem Stolz kam auch die Sorge. Was benötigten kleine Kinder? Wärme, Schlaf und Essen. Er erinnerte sich dunkel an einen Vorfall in seinem Heimatdorf. Eines Nachts hatte eine Frau ein

Weitere Kostenlose Bücher