So finster, so kalt
ihren Verbleib hätte geben können.
Inzwischen glaubte er selbst nicht mehr recht an das, was er von jener Nacht, in der Johann auf die Welt kam, erinnerte. Natürlich; er hatte nie ganz aufgehört, wachsam zu sein. Wann immer er in seiner Wachsamkeit nachließ, gemahnte ihn sein Körper daran; entweder durch pochenden Schmerz in seinem Handgelenk oder durch unziemliches Verlangen seiner Lenden. Letzteres duldete er nicht. Aber das war seine Sache, niemandes sonst. Hauptsache, Johann war sicher und glücklich und Agnes zufrieden. Und beides war der Fall.
Hans nahm das Beil zur Hand und wandte sich wieder seiner Arbeit zu, als er leichte Schritte hinter sich hörte. Agnes legte ihm eine Hand auf den Rücken. Da er sich unwillkürlich verkrampfte, zog sie sie hastig zurück. Er hatte sie gelehrt, dass er keine unnötige Berührung wünschte. Es zeigte ihm seine Schwächen auf, machte ihn weich und empfänglich für die Reize seiner Frau. Sie respektierte das, auch wenn es ihr manchmal schwerzufallen schien.
An einem der ersten Tage nach ihrem Einzug hatte Agnes erklärt, dass sie ihm, sogar bevor sie verheiratet waren, ein gehorsames Weib sein werde. Als er sie gefragt hatte, was sie damit meinte, hatte sie ihm erklärt, dass er sich in der Nacht zu ihr legen könnte. Er hatte nur genickt, jedoch nie Anstalten gemacht, in ihr Zimmer zu kommen. Nach vielen Monaten hatte sie ihm dafür aufrichtig gedankt. Hans hatte nicht verstanden, warum, es jedoch dabei belassen. Erst im Laufe der vielen Jahre ihres Zusammenlebens hatte sich herausgestellt, dass es für Agnes stets eine Qual bedeutet hatte. Sie hatte selten und noch nie freiwillig mit einem Mann gelegen und war froh über Hans’ Enthaltsamkeit. Er hatte seine Sexualität dagegen unentwirrbar mit Greta und den Ereignissen um sie verknüpft, empfand tiefe Abscheu vor seinen körperlichen Reaktionen und Hass auf sich, weil er seine Triebe nie ganz unter Kontrolle bekam. Selbst als er Jahre später einsehen musste, dass er damals doch noch kein richtiger Mann, sondern ein halber Bursche gewesen war, änderte das nichts mehr an seiner Angst. Und so biss er sich stumm auf die Lippen, weil Agnes’ Nähe sein Blut in Wallung brachte. Vielleicht war das alles wirklich so natürlich, wie alle sagten. Aber nicht bei ihm. Wenn er bei einer Frau lag, fuhr der Teufel in sie hinein.
»Hans, geht es dir gut?«, fragte Agnes vorsichtig.
»Ich arbeite. Was gibt es?«
»Ich wollte nur wissen, wann du wieder Pfefferkuchen gebacken hast.«
»Letzte Nacht.«
»Ich glaube, der Junge braucht ihn nicht mehr. Er ist ein glückliches Kind und hat viele Freunde im Dorf.« Ihre Stimme klang warm und voller Stolz, so dass Hans nicht länger dagegen ankam, als aufzublicken und sie anzulächeln. Agnes war aufrichtig und freundlich. Er liebte sie, und er brauchte sie für seinen inneren Frieden beinahe genauso sehr wie seinen Sohn. »Meinst du wirklich?«
»Aber ja. Wobei er ganz sicher auch Freunde gefunden hätte, wenn du ihm keinen Kuchen mitgegeben hättest.«
»So war es sicherer. Er braucht Freunde. Kinder sind leicht zu bestechen. Wenn sie ihn nun in ihre Reihen aufnehmen, ohne dass er ein Pfand mitbringt, umso besser.«
»Johann ist beliebt. Ich sage das nicht, weil ich blind vor Mutterglück bin. Er verbreitet Freude, wo er nur hinkommt, unter den Jungen wie den Alten. Er hat eine gute Art. Vielleicht solltest du dich zum nächsten Markttag einmal persönlich überzeugen.«
Hans ließ die Arme hängen und wich ihrem Blick wieder aus. »Ich weiß nicht recht. Lieber nicht.«
Er hörte Agnes seufzen. »Du musst doch mal unter Menschen, Hans. Du warst seit Jahren nicht im Dorf.«
»Weil es nicht gut ist, wenn die Leute reden. Ich kann es nicht verhindern, aber ich muss nicht in der Nähe sein, wenn sie es tun.«
»Nach all den Jahren haben die Leute sich anderen Gerüchten zugewandt. Selbst mir bringen sie inzwischen wieder den Respekt entgegen, der einer verheirateten Frau zusteht.«
Hans verzog verdrießlich den Mund und fragte sich im Stillen, wie sehr Agnes sich etwas vormachte. Oder machte sie ihm etwas vor? Sicherlich brachten die Leute im Dorf ihr Respekt entgegen. So viel wie nötig, um den Holzhacker bei Laune zu halten. Der Bedarf an Brennholz stieg beständig. Ebenso brachten die Leute Hans ausreichend Respekt entgegen, damit er seine Abgaben zahlte und sich bei Entscheidungen der jeweiligen Mehrheit anschloss. Ansonsten ließ man ihn in Ruhe, was ihm ganz recht
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