Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
Vom Netzwerk:
war.
    Es gab nur einen heimlichen Wunsch, den er hegte, und der hatte nichts mit der Dorfgemeinschaft zu tun. Johann war inzwischen knapp elf Jahre alt. So alt war er gewesen, als Greta ihn aus seinem Heimatdorf weggelockt hatte. Hans müsste dagegen jetzt ungefähr so alt sein wie sein Vater, als er selbst zur Welt gekommen war. Vielleicht ein oder zwei Jahre jünger. Seit er dies nachgerechnet hatte, hatte Hans heimlich wieder begonnen, nach seinem Heimatdorf zu suchen. Er wollte seinen Vater ein letztes Mal wiedersehen, ihm sagen, was für einen prachtvollen Enkel er hatte. Ihm sagen, dass er sich um seinen Erstgeborenen nicht sorgen musste. Ihm sagen, wie sehr er ihn und Mutter geliebt hatte und dass er nicht freiwillig weggelaufen war. Dies alles und noch so vieles mehr, für das er eigentlich keine Worte hatte. Er ließ die Schultern sinken. Was immer an Teufelei mit Greta verschwunden war, sein Bannkreis war geblieben. Wohin er auch ging, am nächsten Morgen stand er wieder an der Lichtung.
    Eines Tages würde er einen Weg finden und fortgehen. Es schmerzte ihn schon jetzt, Agnes und Johann zurückzulassen. Aber er würde es Johann erklären. Sein Sohn würde es verstehen.
     
    Am Abend saßen sie gemeinsam in der Stube, als Hans gedankenverloren aus dem Fenster starrte und am Waldrand eine Gestalt zu sehen glaubte. Das Messer fiel ihm aus der Hand. Er erstarrte. Unwillkürlich griff Agnes über den Tisch nach seiner Hand. »Mann, was ist mir dir?«
    Hans schüttelte sich, wie um das Trugbild abstreifen, und schaute erneut aus dem Fenster. Dort am Waldrand stand Greta und beobachtete das Haus.
    Mit hölzernen Bewegungen und ohne auf die drängenden Fragen seiner Frau einzugehen, erhob sich Hans, griff nach dem Schürhaken neben der Esse und ging aus der Stube in den Flur. Da stand plötzlich Johann vor ihm und schaute ihn aus großen Augen an. »Wer ist das?«
    »Wer soll wer sein?« Agnes erschien hinter ihnen an der Stubentür.
    Hans’ Blick wanderte von einem zum andern.
    »Sie ist der Teufel«, erwiderte er tonlos. Die Furcht hatte sich wie eine eiskalte Zange um sein Herz gelegt, als wollte sie es herausreißen. Er musste etwas tun, dieses Wesen töten, um Johann vor ihm zu schützen, und wenn es das Letzte wäre, zu dem er fähig war.
    Agnes schnaubte verwirrt. »Ihr seht Gespenster.«
    Johann schüttelte hartnäckig den Kopf. »Da steht doch ein Mädchen.«
    »Wo?«
    »Am Waldrand. Warum kommt es nicht näher?«
    »Ich glaube, es kann nicht«, erklärte Hans und packte den Schürhaken fester, während er mit zitternder Hand die Haustür öffnete. Dann trat er auf die Wiese hinaus und wandte sich noch einmal um. »Ihr geht zurück in die Stube, ganz gleich, was geschieht.«
    Ausnahmsweise gehorchten weder Agnes noch Johann, aber sie traten auch nicht über die Schwelle. Agnes legte Johann einen Arm über die Brust. Hans konnte ihr ansehen, dass sie nicht verstand, was vor sich ging.
    Doch Johann konnte Greta sehen.
    Kein Wunder.
    Greta stand dort und schwieg. Ein Mädchen, für das Auge jung und verletzlich. Ein teuflisches Trugbild, das dem Verstand Unschuld vorgaukelte.
    Hans überlegte, ob sie eigentlich jemals älter ausgesehen hatte. Sie war doch gewachsen, hatte sich über die Jahre verändert, als sie hier zusammengelebt hatten, oder? Ihm wurde übel.
    Eine Stimme erhob sich, tonlos, körperlos.
    Komm zu mir …
    »Verschwinde! Lass mich in Frieden! Du hast genug Unheil angerichtet.«
    »Vater, wer ist das? Sie ruft nach mir!« Plötzlich war Johann neben ihm und wollte auf den Waldrand zulaufen. Hans riss ihn am Arm zurück.
    »Zurück ins Haus!«
    »Ich will wissen, wer sie ist!«
    »Zurück ins Haus, sag ich!«
    Der Junge war wie von Sinnen. Er zerrte nach vorne und versuchte, sich loszureißen. Hans packte so fest zu, dass Johann aufschrie, doch er drängte weiterhin nach vorne.
    Komm zu mir …
    »Johann, bleib bei mir, nimm Vernunft an!« Hans blinzelte und merkte, dass ihm der Schweiß von der Stirn tropfte. Er wischte sich mit dem Ärmel über die Augenbrauen. Gleichzeitig versuchte er, seinen zappelnden Sohn besser in den Griff zu bekommen.
    »Hans, was ist denn los mir dir? Kommt zurück, beide!« Agnes hielt es nicht länger im Haus. Mit vorsichtigen Schritten kam sie heran, darauf bedacht, außer Reichweite zu bleiben. Hans konnte es ihr nicht verdenken.
    Greta stand dort, beobachtete sie. Schwieg laut und lockte unhörbar. Hans spürte seine Seele vibrieren. Mühsam umklammerte er

Weitere Kostenlose Bücher