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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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aufbewahrt hat. Es gab immer ein paar Kinder, die davon wussten. Ich vermute, das ist heute noch so. Wie ich meine Omi kenne, wird sie Ronja eingeweiht haben.«
    Gemeinsam stiegen sie über die verstreuten Holzscheite. Merle zeigte ihm die Nische und erklärte, was es mit dem Brauch auf sich hatte. Felix blieb unaufdringlich, stellte ein paar Fragen, hielt sich aber ansonsten zurück. Er schien selbst nicht daran zu glauben, hier eine Spur zu finden, die ihn weiterbrachte.
    Als sie wieder vor der Scheune standen, lud Merle ihn erneut ein, ins Haus zu kommen, doch er lehnte ab. »Ich wollte jetzt noch einmal in Richtung Steinbruch laufen und dann zurück ins Dorf. In knapp vier Stunden starten wir eine weitere Suchaktion und durchkämmen das Gebiet systematisch. Bis dahin möchte ich mich umziehen und etwas essen. Aber vielen Dank.«
    »Eine Suchaktion?«, wiederholte Merle. »Dann komme ich mit. Wann genau geht es los?«
    Felix blieb stehen. »Hältst du das für eine gute Idee?«
    »Wieso nicht? Ich will helfen. Ich muss einfach etwas tun!« Kurz erwog sie, Felix davon zu erzählen, dass sie Hans gesehen hatte. Ihn danach zu fragen, ob er einen Zusammenhang zwischen den ganzen Ereignissen sah. Aber dann besann sie sich. Das Haus war ihm gegenüber misstrauisch, also sollte sie selbst es ebenfalls sein.
    »Ich habe eben im Gemeindesaal mitbekommen, was Nicole Rötgen gesagt hat. Nimm dir das nicht zu Herzen. Die meisten denken nicht so. Oma Mago war eine großartige Frau.«
    Merle gab sich gelassen. »Sie sucht Schuldige, das ist ganz normal.«
    Felix presste die Lippen aufeinander und sah Merle aufrichtig an. »Marie Lehmann ist meine Cousine. Meine Tante, also ihre Mutter, denkt auch nicht so.«
    »Das … das tut mir leid, Felix«, erwiderte Merle bestürzt. »Jeder Mensch bewältigt Krisen anders. Es gibt kein Patentrezept, wie man am besten mit ihnen umgeht.«
    »Das stimmt. Du bist echt mutig. Das habe ich früher schon an dir bewundert.« Er setzte seine Mütze auf. »Soll ich dich abholen?«
    »Das wäre toll!« Dann musste sie den Gemeindesaal wenigstens nicht allein betreten.
    »In Ordnung. Dann bis gleich.«
    Sie verabschiedeten sich voneinander, und bald verschwand die blaue Uniform zwischen den Bäumen, die den Pfad säumten. Merle umschlang ihren Oberkörper mit beiden Armen, während sie zurück ins Haus ging und dabei immer ein wachsames Auge auf Jorinde warf, die ihre Jagd aufgegeben hatte und sich faul in der Sonne räkelte. Merle spürte, wie die Anspannung in ihrem Inneren schmolz und ein Kribbeln hinterließ, als die Muskeln sich entspannten. Wäre sie doch nur halb so mutig, wie es nach außen wirkte. Dann wäre vielleicht einiges einfacher.
    Sie entschied sich, den Lebkuchen zu backen, bis Felix sie abholte. Es dauerte eine kleine Weile, bis sie herausgefunden hatte, wie sie den Herd in Gang bekam. Jemand hatte die Propangasflasche abgestellt, vermutlich Björn.
    Und dann ging alles schief.
    Eigentlich war Merle keine schlechte Köchin, sie kam nur zu selten dazu, da sie in Hamburg meistens auswärts gegessen hatte. Doch sie war immer noch nervöser, als sie sich eingestehen wollte. Zweimal versuchte sie, ein Ei zu trennen, doch jedes Mal ging das Eigelb kaputt. Der Honig musste erhitzt werden und setzte an. Sie verwechselte Zutaten, und dann, als sie endlich alles glücklich in der Rührschüssel hatte, fehlte ihr die Kraft, es von Hand durchzumengen. Wütend knallte sie die Schüssel auf die Anrichte. Was war das für eine kranke Idee, jetzt Lebkuchen backen zu wollen!
    Sie stützte die Hände auf, atmete zitternd aus. Sie konnte ja doch nichts tun. Heute Nachmittag würde sie sich an der Suche beteiligen. Eine innere Stimme sagte ihr, dass man die Kinder auf diese Weise niemals finden würde, aber es gab ihr wenigstens das Gefühl, sich nützlich zu machen.
    Sie griff nach dem Löffel und der Schüssel. Es ging viel leichter als vorhin. Eine Weile gab Merle sich der mühevollen Bewegung hin. Dann deckte sie die Schüssel mit einem Handtuch ab und wollte den Teig zum Ruhen in den Keller bringen. Im Flur hielt sie inne. Das Haus hatte doch einen Keller, oder? Wo war die Treppe?
    Unfähig, einen sinnvollen Gedanken zu fassen, stellte sie die Schüssel in einer Ecke, die ihr kühl vorkam, an die Wand. Dann taumelte sie zurück in die Stube und legte sich unter die Wolldecke auf das Sofa. Sie war plötzlich todmüde. Irgendwie war ihr das alles zu wirr.
    Haus im Wald – Steinberg, Sommer

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