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So finster, so kalt

So finster, so kalt

Titel: So finster, so kalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Menschig
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gebracht! Er sei verflucht!«
    »Beruhige dich. Er wusste es sicherlich nicht, sonst hätte er nicht um Einlass gebeten, sondern sich ferngehalten. Falls er doch Schuld trägt, wird er das mit dem Herrgott ausfechten.« Johanns Stimme brach, und er verstummte.
    Hans schlug die Augen auf. Etwas stimmte nicht. Er stand bereits neben seinem Bett und schaute auf die Rücken seines Sohnes und dessen Frau, die sich über sein Bett beugten. Dabei war seine Sicht wie durch einen silbernen Vorhang verschleiert. Alle Konturen waren weich und flossen zum Teil sanft ineinander. Hans schüttelte den Kopf, um den Blick zu klären, doch Letzteres gelang ihm nicht.
    Johann streckte den Rücken, legte seiner Frau einen Arm um die Schultern und zog sie kurz an sich. Hans hatte es immer gemocht, jene Zärtlichkeit zwischen den beiden Liebenden zu sehen, die ihm an der Seite einer Frau zeit seines Lebens verwehrt geblieben war.
    »Bereite sie vor, wie es sich gehört. Ich gehe ins Dorf und spreche mit dem Pfarrer.«
    Verwirrt drehte Hans sich um und folgte seinem Sohn die Treppe hinunter. Kaum hatte er den Flur betreten, da sah er Christoph und Bartholomäus an der Tür warten, bereit zum Aufbruch.
    Der Mönch wies mit dem Kinn auf den Jungen: »Wir müssen gehen. Christoph kennt den Weg.«
    Hans nickte und ergriff seinen Wanderstock, der ihm in den letzten Jahren gute Dienste geleistet hatte.
    Draußen war es noch stockfinster. Dichter Nebel hing zwischen den Bäumen, trieb in Schwaden durch die nassen Blätter und über den feuchten Boden.
    »Wie ungewöhnlich um diese Jahreszeit«, murmelte Hans und folgte den beiden über Trampelpfade und Moos. Obwohl sie bereits mehrere Stunden wanderten, wurde er nicht müde. Es wurde auch nicht hell.
    Endlich traten sie aus dem Wald. Sie befanden sich oberhalb eines kleinen Dorfes, das sich wie ein Tier in eine kleine Mulde kauerte. Hans stützte sich auf den Stock, mehr aus Gewohnheit, als dass es notwendig gewesen wäre. Da erkannte er die Häuser vor sich und erstarrte.
    »Ich habe keinen Schimmer, wo wir sind«, murmelte Bartholomäus. »Wir müssen weit vom Wege abgekommen sein.«
    »Großvater, was ist mit Euch?« Christoph zupfte ihn am Ärmel, weil Hans sich immer noch nicht rührte, während der Mönch sich vergeblich nach Orientierungsmöglichkeiten umblickte.
    Hans fand keine Worte.
    »Großvater?«
    »Heilige Mutter Gottes«, schimpfte Bartholomäus plötzlich leise und bekreuzigte sich. »Christoph, hilf deinem alten Großvater, damit wir hier wegkommen, das ist kein Ort Gottes.«
    »Nein!« Hans streckte die Hand aus und ließ den Mönch innehalten. »Ich weiß nicht, ob das ein Ort Gottes ist, aber das ist mein Zuhause. Ich habe nach Hause zurückgefunden, nach all den Jahren.«
    »Aber …« Er ließ weder Christoph noch Bartholomäus eine Gelegenheit zu protestieren, sondern stürmte mit langen Schritten auf das Dorf zu. Den beiden anderen blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.
    Hans bemerkte, dass die Häuser nicht mehr so aussahen wie vor mehr als fünfzig Jahren. Viele Gebäude waren verlassen und lotterten, von verwahrlosten Gärten umgeben, vor sich hin. Der kleinen Dorfkirche war der Turm weggerissen worden. Vielleicht waren es Kriegsschäden, vielleicht hatte auch nur der Blitz eingeschlagen, es war einerlei.
    Hans lief die einstmals vertrauten, niemals vergessenen Wege bis zu seinem Elternhaus. Er hätte nicht sagen können, was er dort erwartet hatte. Ein schmaler Lichtschein, der einzige weit und breit, fiel aus einem der Fenster. Dort hatten seine Eltern ihr Schlafzimmer gehabt.
    Hans öffnete die unverschlossene Haustür und trat ein. »Vater?« Er stürzte in den Schlafraum, gefolgt von Christoph. Der Mönch blieb in der Tür stehen und spähte wachsam umher.
    Auf dem schmalen Bett lag ein alter Mann mit geschlossenen Augen und auf der Brust gefalteten Händen. Hans näherte sich, ließ sich auf die Knie nieder und ergriff eine der beiden Hände. Sie waren warm und voller Leben. Er selbst empfand seltsamerweise überhaupt nichts.
    Der Alte öffnete die Augen und sah sich verwirrt um. »Hans?« Dann erblickte er den Mann neben sich und den Jungen, der sich vorsichtig genähert hatte. Als er ihn sah, leuchtete sein Gesicht vor Verstehen. »Du bist zurückgekehrt!«
    Hans lachte. »Ja, Vater, ich bin zurück. Aber das ist mein Enkel Christoph.« Es dauerte, bis der Alte den Sinn der Worte verstanden hatte. Dann hob er die zweite Hand und fuhr mit den

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