So finster, so kalt
1647
Großvater, ein Mann will Euch sprechen.«
Hans reckte den Kopf aus der Tür zur Stube, um zu sehen, wen Christoph soeben an der Haustür begrüßt hatte. Dort stand ein bärtiger Mann mit einer Tonsur in einem schlichten grauschwarzen Gewand und mit Sandalen an den bloßen Füßen. Verwundert trat Hans auf den Flur und stellte sich neben seinen Enkel, der den Mann ungeniert von oben bis unten musterte.
»Was kann ich für Euch tun, Bruder?«
Der Besucher verbeugte sich leicht. »Ich bin nur ein demütiger Mann Gottes, der um ein Quartier für die Nacht in Eurem Heuschober ersucht. Am Morgen werde ich weitergezogen sein, noch bevor Ihr bemerkt, dass ich hier war.«
»Mutige Worte für jemanden, der den Habit eines Minoriten trägt. Ihr wisst, dass dieser gesamte Landstrich dem lutheranischen Glauben folgt?«
Die Miene des Mönches verschloss sich, während er vorsichtig einen Schritt zurückwich. »Der Herr hält seine Hand schützend über mich.«
Sofort lächelte Hans beruhigend. »Habt keine Furcht. Hier ist jeder willkommen, der durch diese Türe schreiten kann. Kommt herein und lasst Euch ein Mahl bereiten.«
Der Fremde nickte dankbar und trat in den Flur an Hans und seinem Enkel vorbei. Er trug nur ein leichtes Bündel, dessen Tuch ihm vermutlich Schutz vor Regen gewährte. Im ersten Moment hatte Hans ihn auf sein Alter geschätzt, jetzt jedoch vermutete er, dass der Wanderer um einiges jünger sein musste. Er hatte Augen, die schon viel gesehen hatten, das erkannte Hans gleich. Vermutlich hatte der Fremde umso mehr gesehen, seit in der Welt ein Krieg ausgebrochen war, von dem sie zum Glück hier in ihrer Abgeschiedenheit nichts mitbekamen.
»Euer Haus erschien so freundlich und einladend. Mir war, als hätte es mich gerufen.«
Hans lachte gutmütig, während er Christoph mit einer Handbewegung hinter dem Gast her in die Stube scheuchte und ihm stumm Anweisung gab, etwas von der Suppe aufzuschöpfen und einen Kanten Brot zu holen.
»Ist alles in Ordnung mit Euch, Bruder?«
»Nennt mich Bartholomäus.«
»Ihr seht sehr erschöpft aus. Habt Ihr Fieber?«
Der Mönch betastete seine Stirn. »Ich hoffe nicht, doch Ihr habt recht. Ich bin sehr müde. Mehr, als ich nach dieser Etappe sein sollte.«
»Dann sollt Ihr in Christophs Bett schlafen. Der Junge kann sich für eine Nacht auf dem Boden ein Lager einrichten.« Hans warf seinem Enkel einen auffordernden Blick zu und erhielt zur Antwort ein eifriges Nicken.
Bartholomäus hob an, um zu widersprechen, doch Hans brachte ihn mit einer erhobenen Hand zum Schweigen und wechselte stattdessen das Thema. »Wohin des Weges?«
»Ich bin auf einer Pilgerreise nach dem Kloster Unserer Lieben Frau zu Thierenbach. Ich bete für das Ende des Krieges und des Hungers. Das Kloster war einst ein berühmter Ort der Wallfahrt. Jetzt versucht der Benediktinerorden, diesen Wallfahrtsort wieder aufzubauen. Ich möchte meine Hilfe anbieten, einige Zeit verweilen und dann nach Santiago de Compostela weiterziehen.«
Christophs Augen begannen sofort zu glänzen, als er all die fremden Namen hörte.
Hans lächelte. Insgeheim beneidete er den Mönch ebenfalls. Er selbst war nach wie vor ein Gefangener dieses Ortes, den er zwar über die Jahre lieben gelernt hatte, der jedoch nie seine freie Wahl gewesen war.
Vielleicht ergab sich für Christoph ja sogar die Möglichkeit, den Mönch zu begleiten? So erfuhr wenigstens einer seiner Enkel den wahren christlichen Glauben, der einst seine eigene Kindheit begleitet hatte.
In der Nacht stieg Bartholomäus’ Fieber an, und er fiel in eine tiefe Ohnmacht. Johanns Frau Maria und Hans versorgten den Kranken, während Johann mit seinen beiden Söhnen Christoph und Matthias seinem Tagewerk nachging. Am Abend des dritten Tages nach der Ankunft des Mönches ging Hans sehr früh ins Bett. Die Versorgung des Kranken war anstrengend und hatte ihn über Gebühr ausgelaugt.
Eigentlich bestand seine Aufgabe im Haushalt nur noch darin, im Schaukelstuhl zu sitzen, den Jüngeren Märchen und Geschichten zu erzählen und einmal in der Woche Pfefferkuchen zu backen. Als Christoph ihm einmal dabei geholfen hatte, war er auf die Idee gekommen, kleine Männlein aus dem Teig zu formen, und so machten sie es von da an jedes Mal.
Am nächsten Morgen erwachte Hans von aufgeregtem Stimmengemurmel.
»Siehst du hier, Maria? Genau die gleichen roten Pusteln wie bei Christoph und dem Mönch.«
Maria schluchzte. »Dieser Mensch hat Leid über uns
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