So frei wie der Himmel
"Wie ich dir schon gestern Abend sagte", erklärte sie betont fröhlich, "sind wir bereit, in bar zu zahlen. Also brauchst du dir über den Ruf der Firma keine Sorgen zu machen. Wir sind absolut solide."
"Der Ruf deiner Firma ist das Letzte, worüber ich mir Gedanken mache. Diesen wunderbaren Wald abzuholzen und die Wiesen einzuzementieren - darüber mache ich mir allerdings schon ein paar Gedanken."
"Wir hatten eine Vereinbarung", sagte Cheyenne. .Ich schaue mir das Land an, und du gibst den Entwürfen eine Chance. Ich hoffe, dass du Wort hältst."
"Ich halte mein Wort immer", erklärte Jesse.
Wenn er sein Wort immer hielt, dann vermutlich, weil er es von vornherein erst gar nicht gab, dachte sie grimmig.
"Was tust du sonst, wenn du nicht gerade die Umwelt verschandelst?", fragte er.
Dafür erntete er einen bitterbösen Blick, der ihm jedoch nur ein weiteres Lachen entlockte.
"Ich habe keine Zeit für Hobbys", erwiderte sie knapp.
"Ich könnte dir Reitunterricht geben."
"Danke, nein", entgegnete sie etwas zu schnell und zu barsch.
"Nur mal angenommen, ich verliere völlig den Verstand und verkaufe dir das Land. Würdest du dann noch eine Weile in der Stadt bleiben?"
Diese Frage erschütterte sie ein wenig, wobei sie hoffte, das einigermaßen verbergen zu können. Gab es vielleicht doch noch einen Funken Hoffnung auf das Geschäft? Und auf welche Antwort hoffte er? Dass sie verschwand, sobald die Tinte auf dem Vertrag getrocknet war, oder dass sie auf unbestimmte Zeit blieb? Letztlich spielte es keine Rolle, was er wollte.
"Dann würde ich ein halbes Jahr oder ein Jahr bleiben, die Bauarbeiten überwachen und ein kleines Verkaufsbüro einrichten", antwortete sie wahrheitsgemäß.
Nun erreichten sie das zweite Gatter, und wieder beugte Jesse sich über den Hals des Pferdes. Daher konnte sie sein Gesicht nicht sehen. Aber sie spürte etwas in seiner Haltung - als ob er einen schweigenden Kampf mit sich ausfocht. Bisher war er sehr unnachgiebig. Wurde er vielleicht langsam weich?
Sie verspürte eine Mischung aus Hoffnung und Enttäuschung in sich aufsteigen.
"Du könntest vielleicht den leeren Laden neben Cora's Curl and Twirl mieten", sagte er. "Als Büro, meine ich."
Bei diesem Satz schienen Cheyennes Herz kleine Flügel zu wachsen, die kurz aufschlugen und sich dann wieder legten. "Ich erinnere mich an Cora's Curl and Twirl. "Ein falsch gewähltes Wort konnte alles zerstören. "Schneidet Cora noch immer selbst die Haare und bringt kleinen Mädchen bei, die Tambourstöckchen herumzuwirbeln?"
"In Indian Rock verändert sich nicht viel", erklärte Jesse strahlend. "Hast du auch bei Cora Unterricht gehabt?"
Etwas Spitzes steckte plötzlich in ihrem Hals. Gott, sie hatte sich so sehr nach einem rosa Ballettröckchen und Tambourstöckchen mit glitzernden Quasten an beiden Enden gesehnt, danach, eines der glücklichen Kinder zu sein, die jeden Samstagmorgen zum Tanzunterricht in den Laden stürmten. Aber ihre Eltern hatten nie genug Geld gehabt - weil Cash Bridges jeden übrig gebliebenen Penny beim Spielen und Trinken ausgab oder um Kumpels aus dem Gefängnis zu holen.
"Nein", antwortete sie leise. Sie wollte nicht über ihren Vater oder sonst etwas aus ihrer Vergangenheit sprechen. "Du?"
Jesse lachte. "Nee. Aber meine Schwestern waren ganz versessen darauf."
Ja, klar, dachte Cheyenne. Die McKettrick-Schwestern. Sie waren schon erwachsen, als Cheyenne in die Schule kam. Aber ihr Ruf hing ihnen nach. Sie waren immer die schönsten, beliebtesten und bestgekleideten Mädchen: Cheerleader, Abschlussballköniginnen, Vorzugsschülerinnen und Klassensprecherinnen. Später hatte die eine einen Filmdirektor geheiratet, die andere einen Vorstandschef.
Manche Menschen waren eben unter einem glücklichen Stern geboren.
Sie hingegen lag unter einer dunklen Wolke.
"Da lang." Jesse deutete auf einen schmalen steinigen Weg, der steil nach oben führte. "Reite mir einfach nach. Und wenn es steil wird, lehn dich im Sattel nach vorn."
Wenn es steil wird? Zum Glück übernahm das Pferd die Führung. Sie musste sich nur darauf konzentrieren, im Sattel zu bleiben und sich nicht das Gesicht von herabhängenden Ästen zerkratzen zu lassen.
Als sie schließlich den Gipfel erreichten, war Cheyenne schweißgebadet.
Auf den Ausblick jedoch war sie in keiner Weise vorbereitet. Tausende von Bäumen. Sonnenbeschienene Wiesen, auf denen Wild graste. Ein geschwungener Bach funkelte wie die Quasten an den Tambourstöckchen bei
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