So frei wie der Himmel
sich hassen, vielleicht sogar schon früher. Aber für einen kurzen Moment wollte sie nicht länger Cash Bridges' Tochter sein. Nicht die verlässliche Stütze ihrer Mutter. Nicht Mitchs Beschützerin. Sie wollte nur eines sein. Nur eines.
Eine Frau.
Eine Frau aus Fleisch und Blut, die sich einem Mann aus Fleisch und Blut hingab. Wen scherten schon die Konsequenzen.
Kapitel 12
Die ganze Fahrt über spürte Jesse Cheyennes Nähe als ob sie neben ihm säße und nicht hinter ihm herfuhr. Er hatte sie zum Abendessen eingeladen und natürlich gehofft, dass sie zusagen würde. jetzt waren die Würfel gefallen. Was ihn betraf, freute er sich riesig darüber. Was sie betraf - nun, für sie wäre es vielleicht besser gewesen, alles noch einmal zu überdenken.
Denn trotz des kurzen Intermezzos mit Brandi war er nicht der Typ Mann, der heiratete. Gut, die meiste Zeit litt er darunter, allein in dem Haus zu leben - deshalb war er ja auch ständig auf der Suche nach einer guten Pokerrunde. Aber zum Eheleben war er nicht geboren - im Gegensatz zu Rance und Keegan.
Er hatte ja nicht einmal einen verdammten Job.
Und er wollte auch gar keinen.
Er war verrückt nach Cheyenne, keine Frage, aber er kannte sich selbst recht gut. Sein einziges Talent war das Pokern, er konnte Cheyenne nicht so lieben, wie sie es verdient hatte. Bestimmt hätten sie fantastischen Sex, eine atomare Verschmelzung, aber selbst solche Verschmelzungen kühlten mit der Zeit ab. Irgendwann würde ihm langweilig und die ganze Geschichte zu einer traurigen Erinnerung werden, die ihn verfolgte, sobald er einmal innehielt. Als er in den Rückspiegel sah, hoffte er fast, dass sie nicht mehr hinter ihm her fuhr.
Doch da war sie.
"Verdammt", murmelte er, fuhr sich durchs Haar und fluchte noch einmal.
Cheyenne war kurz davor, die Nerven zu verlieren. Verzweifelt drehte sie am Radio, um sich abzulenken. Die Girl-Band-Version von Rick Springfields Jessie's Girl" dröhnte aus den Lautsprechern. Hastig stellte sie das Radio wieder ab. Ihr wurde heiß, sie kurbelte das Fenster herunter. Der Wind wehte ihr das Haar ins Gesicht, und beinahe wäre sie von der Fahrbahn abgekommen. Das gesamte Universum um sie schien zu pochen wie ein einziges gigantisches Herz.
Das Haus, das jeb McKettrick für seine Braut Chloe gebaut hatte, zeichnete sich vor dem Himmel ab und wirkte wie die Kulisse eines alten Westerns.
Das ist alles nicht richtig, dachte Cheyenne, während sie an ihrer Unterlippe nagte. Es hätte stürmisch und dunkel sein müssen und kalt. Statt der glänzenden Pappelblätter, die sich im Wind bogen, hätte es donnern und blitzen müssen.
Jesse parkte am Stall. Cheyenne hielt neben ihm und blieb zitternd sitzen, während er ausstieg und auf sie zuging. Er klopfte an die Scheibe und lächelte, als sie nicht öffnete. Etwas zu spät öffnete sie die Tür. Nun gab es keine Barriere mehr zwischen ihnen.
"Ich schau mal nach den Pferden", erklärte Jesse. Dabei forschten seine Augen in ihrem Gesicht. "Du kannst schon reingehen, wenn du magst. Mach, es dir gemütlich."
Mach es dir gemütlich.
Ja klar.
"Soll ich dir helfen?", hörte Cheyenne sich fragen, als ob es sich hier um ein ganz normales Zusammentreffen handelte. Als ob sie nicht kurz davorstünde, den spektakulärsten Fehler ihres Lebens zu begehen. "Mit den Pferden, meine ich."
Er schüttelte den Kopf. "Dauert nicht lang."
Cheyenne nickte und sah ihn davongehen. Noch hatte sie den Motor nicht abgestellt. Noch konnte sie umdrehen, zurück in die Stadt und vergessen, dass sie dumm genug gewesen war, überhaupt hierher zu kommen. Stattdessen stieg sie aus.
Durch die unverschlossene Hintertür trat sie ins Haus. Die Küche war größer, als sie in Erinnerung hatte. Möglicherweise sogar größer als das Haus, in dem sie mit Mitch und Ayanna lebte. Bisher war sie nicht weiter als bis zum Badezimmer am Ende des Korridors gekommen, wo sie sich erst vor ein paar Tagen zum Reiten umgezogen hatte. Nun würde sie also mehr von diesem Haus zu sehen bekommen. Sie schluckte.
Zum Beispiel Jesses Schlafzimmer.
Wie es wohl aussah? Er stieß sie beinahe um, als er hinter ihr durch die Tür trat.
"Sieh dich um, wenn du magst", sagte er, offenbar amüsiert von der Tatsache, dass sie direkt hinter der Tür gewartet hatte. "Ich gehe schnell unter die Dusche."
Das alles klang so normal.
Sieh dich um, wenn du magst. Ich gehe schnell unter die Dusche.
Was sollte sie nur tun? Zurück in die Stadt fahren?
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