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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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aussehen.« Nicht selten waren sie begeistert, und am Ende bin ich mit fünfhundert Mark abgezogen. Andere haben später sogar ihren Beruf daraus gemacht. Daniel zum Beispiel hat mit Graffiti Geld verdient. Und die Jungs von CAF haben eine Firma gegründet und betreiben das Sprühen bis heute beruflich. Wenn einer ihnen sagt, er möchte einen Che Guevara auf seiner Giebelfläche haben, klatschen sie ihm einen zwanzig mal dreißig Meter großen Che Guevara dahin, und jeder denkt, das ist ein Foto. Die haben ein richtiges Atelier, wo sie Leinwände besprühen, die veranstalten Ausstellungen, die sind extrem fit.
    Andererseits und was mich angeht, verhielt es sich allerdings so: Selbst in Berlin gab es keine Unmengen von Metzgereien mit innovativen Eigentümern, und die fünfhundert Mark waren schnell ausgegeben. Nicht anders erging es dem kleinen Salär, das während der Lehre in meine Tasche floss. Und nach dem Ende meiner Lehrzeit versiegte diese Quelle. Da hatte man aber schon diesen und jenen kennengelernt… Um es kurz zu machen: Ich, wir alle, jeder wollte einen Anteil vom großen kapitalistischen Kuchen. Die Situation war der im Wilden Westen vergleichbar. Es gab eine Verheißung, eine glitzernde Verheißung, die im Westen am Himmel stand und mit der Sonne nicht unterging, pausenlos trat irgendjemand auf eine Goldmine und ging sofort daran, sie auszubeuten, nur an uns lief die Sache bisher vorbei, obwohl uns niemand auf die Finger schaute.
    Es herrschte doch Anarchie. Chaos. Kongo.
    Und wer wusste, wie lange noch?
    Gut, mit Freiheit mochten die Bonner Politiker, die Initiatoren der Montagsdemos, die DDR -Bürger in der Nacht des 9. November etwas anderes verbunden haben, wahrscheinlich Meinungsfreiheit, Reisefreiheit und so weiter, aber nun war halt das dabei herausgekommen: ein großer Sumpf, aus dem Leute alle naselang mit neuen Trophäen auftauchten, besudelt zwar, aber um einiges reicher. Und wir waren für diese Art von Schatzsuche durchaus aufgeschlossen.
    Eine unserer ersten Aktionen ging vom Chef unseres Jugendklubs aus. Von Günther-Heinrich, einem Bodybuilder mit Rottweiler, der etliches auf dem Kerbholz hatte. Wir kamen gut mit ihm klar.
    Eines Tages erzählte er uns von einer neuen Lichtanlage in einem anderen Klub. Die hätte locker zwanzigtausend Mark gekostet, und wenn wir ihm dieses Teil besorgen würden, wäre für uns ’ne Menge Kohle drin. Zwanzigtausend Mark? Das musste eine ziemlich umfangreiche Apparatur sein. Wir gingen auf den Deal ein, und ein paar Tage später präsentierten wir ihm die Anlage. Unser Chef war aus dem Häuschen. Er hatte schon jemanden, der sie ihm abkaufen würde, und rückte den Schotter ohne zu zögern raus. Ein Supergeschäft. Bei uns blieben tausend Mark hängen, und Günther-Heinrich verscheuerte die Anlage für fünfzehntausend weiter.
    So ging’s los, und bevor ich mich jetzt in Einzelheiten wie geklauten Autoradios und Felgen und dergleichen verliere, komme ich gleich auf den Ort zu sprechen, den man als das Kreativ-Center des großen, goldschillernde Blasen werfenden Marzahner Sumpfs bezeichnen könnte: den Wohngebietspark.
    Eigentlich ist der Wohngebietspark eine weitläufige, schön bepflanzte Grünfläche zwischen Mehrower Allee und Raoul-Wallenberg-Straße, vier S-Bahn-Stationen von meiner damaligen Wohnung entfernt. Und diese Oase inmitten des Plattenbaugraus gefiel uns so gut, dass wir Sprüher uns immer häufiger dort trafen und oft bis Mitternacht einfach nur herumhingen, wobei uns von Anfang an das Thema Knete beschäftigte. Dosen klauen, das ging ab und zu gut, aber die Baumärkte waren inzwischen ebenfalls auf den Trichter gekommen und hatten Wachpersonal eingestellt oder Kameras installiert. Also gingen wir zu Autoradios, Felgen und Konsolen über, und der Wohngebietspark verwandelte sich Schritt für Schritt in einen klassischen Wendekiez. Mit anderen Worten: in eine Brutstätte des Verbrechens.
    Wir waren ja nicht die Einzigen. Es wimmelte von Glücksrittern, Kleinganoven und Spezialisten aller Gattungen. Wer sie einsortieren wollte, musste nur zuhören, was verhandelt, worüber gefachsimpelt und womit geprahlt wurde. Gute Ratschläge waren gefragt, aber Tipps und Tricks wurden zu kleinen Preisen gehandelt, und selbstverständlich war jeder die Nummer eins auf seinem Gebiet. Wo die Badboys waren, da waren auch die Perlen, folglich wurde im Verlauf einer Nacht nicht nur viel gesoffen, sondern auch viel gevögelt, und diese Zwischenphasen

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