So fühlt sich Leben an (German Edition)
Hallo, Rap-Deutschland flippte aus, die Produzentenliga fiel regelrecht ins Essen, und ich unterschrieb meinen ersten Plattenvertrag mit einer Münchner Firma. Also doch grüner Zweig, allerdings nicht ganz so, wie mein Vater ihn sich vorstellte, denn übertrieben viel Kohle blieb letztlich nicht hängen, nur dass es mir darum gar nicht ging. Ich wollte den Ruhm, ich wollte fame, ich wollte um jeden Preis bekannt werden und fühlte jetzt endlich, wie es langsam, aber unaufhaltsam nach oben ging, so wie damals, im Aufzug unseres Wolkenkratzers am Ostbahnhof, wo mich am Ende einer langen Fahrstuhlreise mein fliegender Teppich erwartete.
Also, man redete über uns, man schrieb über uns, und fast das Beste war: Sven Meisel bot mir neue, größere Räume an. Er erklärte sich sogar bereit, die Miete zu übernehmen. Wir machten einen Vertrag, und in kürzester Zeit wurde die Alphabeatz Musikproduktion aus dem Boden gestampft, ein professionelles Studio, das mit der Zeit verschiedene Künstler betreute und diverse Alben produzierte, sodass plötzlich immer mehr Rapper durch die heiligen Hallen streiften, was ein sehr ungewohnter Anblick war. Solche Leute hatte das Hansa nie gesehen.
Kurzum, wir waren Exoten, Paradiesvögel, Wildgewordene auf ihrem irren Hip-Hop-Trip, aber der normale Studiobetrieb lief natürlich weiter, und auch ich fuhr jeden Morgen ganz normal zur Arbeit, stellte meinen Wagen ganz normal auf dem für mich reservierten Parkplatz ab, erschien wie alle anderen pünktlich und ging zwischendurch wie alle anderen hoch in den Aufenthaltsraum, um Kaffee zu trinken und soziale Kontakte zu pflegen und mit Kerstin vom Empfang oder mit Alex oder Hausmeister Heini zu schnacken.
Eines Tages sitze ich da, nuckele an meinem Kaffeebecher und klöne mit Kerstin, da geht die Tür auf, und Reinhard Mey kommt rein. Einfach so.
Ich: » Hallo. Guten Tag.«
Er: » Reinhard. Hallo.«
Und Kerstin: » Du, Studio ist schon vorbereitet, kannst gleich reingehen.«
Da hatte er für den ganzen Monat ein Studio im Hansa gemietet, um sein Album Flaschenpost zu produzieren. Krass, dachte ich, weil ich Reinhard Mey seit jeher bewunderte, und nahm den nächsten Schluck Kaffee, als Reinhard zurückkam, sich ebenfalls einen Kaffee einschenkte und dazusetzte. So kam es zu meinem ersten, rudimentären Gespräch mit ihm. » Mensch, Junge, was machst du denn hier?«, wollte er wissen, und ich erzählte ihm von meinem Studio im dritten Stock und dass ich bei den Meisel-Musikverlagen sei.
Im Lauf dieser vier Wochen kamen wir uns näher, und irgendwann sagte er zu mir: » Hagen, du machst doch Hip-Hop und schreibst auch für andere. Ich habe da einen Song… Ich kann zwar Reime schreiben, aber keinen Rap. Wollen wir nicht was zusammen machen?« Im ersten Augenblick dachte ich, dass ich persönlich für ihn rappen sollte, das wäre natürlich grandios gewesen, aber dann kam’s eine Nummer kleiner. » Ich habe einen Sohn«, fuhr er fort, » der mag Hip-Hop. In einem Song auf meinem Album hätte ich ihn gern dabei. Vielleicht kannst du ihm einen Text schreiben. Ich geb dir mal den Song, an den ich denke.« Gut. Habe ich was für seinen Sohn gedichtet, habe auch die Aufnahme im Studio verfolgt und war damit unversehens Teil dieser Produktion– eine große, eine sehr große Ehre für mich.
Dann ging es ans » Narrenschiff«, einen seiner berühmtesten Songs, und plötzlich stand Reinhard Mey unten bei mir im Studio und sagte:
» Hagen? Hast du mal kurz Zeit?«
» Klar, ich komm mit hoch.«
Im Studio spielte er mir den Song vor.
Er: » Hast du eine Idee für den Refrain?«
Ich: » Narrenschiff? Da gehören Leute drauf. Du bist doch nicht allein an Bord. Da muss man einen Chor hören, so einen richtigen Seemannschor.«
Und er: » Komm, mach einfach mal.«
Da haben wir keinen Original-Seemannschor eingekauft, wir haben einen nachgemacht. Sind durchs ganze Haus gelaufen, haben alle verfügbaren Leute zusammengetrieben und in die Gesangskabine gesteckt, und dann haben alle gemeinsam den Refrain vom » Narrenschiff« gesungen. Ich auch.
Auf die Art sind damals Songs entstanden.
Gerade in diesen Tagen kam die neue S-Klasse von Mercedes raus, und Reinhard hatte sich einen bestellt. » Schönes Auto«, sage ich, da erzählt er mir, dass er seinen Wagen erst zum Lackierer bringen will, um ihn rot spritzen zu lassen.
Knallrot. Ich fasse es nicht. » Eine S-Klasse kannst du doch nicht rot la–ckier–en!«, sage ich. Jetzt war jedes Auto bei
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