Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
Vom Netzwerk:
Truppe, um Realismus in die Ausbildung zu bringen. Und der größte Clou: Die Auszubildenden waren nicht etwa die Schützen Arsch und Socke, sondern die höheren Tiere mit den Abzeichen an den Jacken. Und los ging’s.
    Wir durften anziehen, was wir wollten. Die Klamotten wurden gestellt, ausrangierter Bundeswehrplunder, Armeehosen, Stirnbänder. Also in die verwegensten Sachen geschlüpft, die Gesichter geschwärzt, Baseballkeulen und Maschinenpistolen geschnappt und ab zum Einsatzort, dem Geisterdorf Bonnland irgendwo im Niemandsland dieses Truppenübungsplatzes, das wir für die nächsten zwei Monate in eine Hölle verwandeln sollten. Und wir haben uns nicht geschont. Wir haben niemanden geschont.
    Schon unser Anblick war nichts für Nervenschwache. Wenn man uns so sah– Maschinenpistole, Tattoos, Stirnband, Kriegsbemalung–, fiel einem nur Rambo ein. Und dann… Unser Auftrag lautete: Busse überfallen. Busse, in denen sich unsere Herren Offiziere dem Dorf näherten. Und Konfliktsituationen herstellen, die die Teilnehmer entschärfen mussten, durch Verhandeln, durch Tauschgeschäfte, durch Geistesgegenwart, äußerstenfalls natürlich auch durch entschlossene Gegenwehr. Das Entschärfen wiederum, auch das war Teil des Auftrags, sollten wir ihnen so schwer wie möglich machen, dafür hatten wir sogar einen Freibrief des Kommandeurs, und wenn man uns sagt: Ihr dürft machen, was ihr wollt, dann machen wir, was wir wollen. Und ich schwöre: Wenn ein Vollkontakt-Karateweltmeister wie Mewis loslegt, ist Feierabend. Der Typ war in Asien ein gefeierter Star, der war nach einem Weltmeisterschaftskampf mit einer Riesentrophäe in Form eines goldgerahmten Spiegels aus Japan zurückgekehrt, und nicht nur Mewis war hier in seinem Element. Wir haben die Herrschaften in die Mangel genommen, wir haben Backpfeifen verteilt, wir haben sie nach Strich und Faden malträtiert, wir durften das und fanden es herrlich. Je realistischer, desto besser, hatte es geheißen, und da draußen in Jugoslawien war– Friedensschluss hin oder her– Krieg; die wussten, was auf sie zukam, die wussten, dass das kein Kinderspiel würde, und deshalb waren wir überzeugt, unseren Auftrag richtig zu verstehen, wenn wir zwei Monate lang Angst und Schrecken unter den Kursteilnehmern verbreiteten. Aber der Reihe nach.
    In Bonnland gab es verschiedene Stationen. Am Ortseingang wurden die Herrschaften in ihrem Bus bereits von Aufständischen erwartet, danach mussten sie an einem von Widerstandskräften besetzten Haus vorbeilaufen und Beschimpfungen und Provokationen über sich ergehen lassen, und im Dorfkern stand ihnen die sogenannte Selbstverteidigungsstation bevor, wo es richtig zur Sache ging. Durch meine Arbeit an der Tür war ich mit einigen Kniffen vertraut, ich verstand mich aufs Entwaffnen, ich verstand mich aufs Armauskugeln und Messerentwenden, und so landete ich folgerichtig zunächst bei den Nahkämpfern im Dorfkern.
    Es war so, dass alle Offiziere ihre Rangabzeichen verdeckt oder umgedreht trugen, weil uns der Dienstrang egal sein sollte. Dem lag die irrige Annahme zugrunde, wir könnten mit einem Oberst sanfter verfahren als mit einem Leutnant. Wie dem auch sei, eines Tages habe ich einen in der Mangel und wälze mich mit ihm auf dem Boden, da bricht er in Tränen aus und heult in meinen Armen drauflos, weil er nichts gegen mich ausrichten kann und sich wahrscheinlich sagt: In Jugoslawien wär’s das jetzt gewesen. Und in dem Gerangel kriege ich seine Schulterklappe zu fassen, drehe sie um und sehe Sterne. Jede Menge Sterne. Ideal, habe ich gedacht. Wie im richtigen Leben. Plötzlich war alles echt. Plötzlich befand er sich in den Händen eines Gegners, den er nicht bezwingen konnte, und fürchtete um sein Leben.
    Dabei haben wir natürlich immer nur so getan, als ob. Trotzdem hatten wir unsere Rollen bald derartig verinnerlicht, dass es für alle beteiligten Soldaten sehr schwer wurde. Nachts ging’s nach Hammelburg in die Kneipen, da wurde ordentlich gesoffen, und am nächsten Morgen Fortsetzung, total verkatert, unsereins also schön scheiße drauf.
    Die meiste Zeit wurde ich allerdings mit Neumann am Ortseingang postiert, wo wir die ankommenden Busse angriffen, die hinterher dementsprechend aussahen. Neumann stellte sich mit seiner Maschinenpistole in den Weg, gab erst mal ein paar Warnschüsse ab, und ich klopfte mit dem Baseballschläger gegen die Tür, bis sie aufging. Dann bin ich durch den Bus gegangen, von einem zu anderen, und

Weitere Kostenlose Bücher