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So fühlt sich Leben an (German Edition)

So fühlt sich Leben an (German Edition)

Titel: So fühlt sich Leben an (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hagen Stoll
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habe gekiekt, was es für einen jugoslawischen Guerillakämpfer in einem schicken deutschen Bus so alles zu holen gibt, an Uhren zum Beispiel, an Kettchen, an Portemonnaies. » Knüpf denen ruhig was ab«, hatte mein Feldwebel gesagt. » Wenn dir was gefällt, nimm’s dir. So ist der Krieg, die Jugos machen keine Faxen.« Und mein Feldwebel wusste, wovor er sprach, der war nämlich in Jugoslawien gewesen. Wenn also der Zugführer im Bus ankam und mich zu besänftigen versuchte, habe ich ihm eine vor den Latz geknallt, dass er drei Meter zurückflog– » Schnauze halten!«–, und bin weitergegangen, Uhren begutachten. Alles in allem haben wir in diesen zwei Monaten für eine gehörige Portion Realismus gesorgt, und die Teilnehmer dürften viel gelernt haben; gelacht hat jedenfalls keiner. Trotzdem wird unsere Vorstellung weit von der Wirklichkeit eines Bürgerkriegs entfernt gewesen sein. » Das ist noch ein Zuckerschlecken, was der Jäger hier mit Ihnen veranstaltet«, pflegte mein Feldwebel zu antworten, wenn einer protestierte, und ein halbes Jahr später erhielt ich ein Schreiben von der Bundeswehr, adressiert an den Hauptgefreiten Stoll– ein Dankschreiben des Staates!
    Hauptgefreiter?, dachte ich. Da hast du dir was eingebrockt. Und Dank? Keine Ursache. Aber damit sollte es auch endlich gut sein mit meinem Dienst an der Bundesrepublik Deutschland.

18 | Russisch für Anfänger
    Als der Straßen-Rap aufkam, der Gangsta-Rap, habe ich nur milde gelächelt. Was wollten die mir erzählen? Das waren Kinder, die um die Ecke kamen und auf Gangsta machten. Für den Realismus war ich zuständig, nicht nur bei der Bundeswehr. Schon auf meinem ersten Joe-Rilla-Album Zeitgeist war ein Titel wie » 220km/h« zu hören, der auf den Verlust zweier Freunde zurückging, die bei einem Autounfall ums Leben gekommen war en – eine der schrecklichsten Erfahrungen meines Lebens.
    Es muss 1996 gewesen sein. Wir besuchten eine Party im Knaak auf der Greifswalder Straße, Rösler, Peter, ein Dritter und ich. Sie wollten früher abhauen und gingen, ihr Wagen stand vor der Tür. Ich blieb, und etwas später kam der Anruf: Rösler und Peter sind tot. Unfall auf der Landsberger Allee, Höhe S-Bahnhof Marzahn. Ich bin sofort hingefahren.
    Es sah immer noch fürchterlich aus. Ihr Auto war total zertrümmert. Weit und breit kein Hindernis, aber an dieser Stelle überbrückte ein Hinweisschild– Richtung Ahrensfelde, Richtung Biesdorf– die Straße, das links und rechts auf massiven Eisenpfeilern stand, und da waren sie gegengescheppert. Müssen einen ordentlichen Zacken draufgehabt haben.
    Das Wrack, die Nacht, die Menschen, alles kam mir in diesen Minuten unwirklich vor. Ich wusste nur: Ich habe sie verloren. Und ich hatte sie wirklich gemocht. War das tatsächlich passiert? Was sollte ich machen? In meiner Verzweiflung bin ich zu meinen Eltern in die Ringelnatz-Siedlung gefahren und habe mich bei ihnen ausgeheult.
    Es waren so lustige, so lebensfrohe Menschen gewesen. Peter zum Beispiel war ein grundorigineller, jederzeit fröhlicher Kerl und waschechter Antikapitalist, dem es einfallen konnte, ein Café zu betreten, sich mitten reinzustellen und den » Kleinen Trompeter« anzustimmen: » …unser kleiner Trompeter, ein lustiges Rotgardistenblut«. Der » Kleine Trompeter« gehörte zum Standardrepertoire der Sozialisten, und Peter konnte sich über Auftritte dieser Art kaputtlachen– da stand er und ließ einsam und allein den Sozialismus hochleben; das war komisch und heroisch zugleich. Solcher Sachen wegen vermisst du einen Menschen umso mehr, und Peter hatte überhaupt nie schlechte Laune, der steckte dich mit seiner Lebenslust an, egal wie beschissen es dir gerade ging. Klar, der Tod trifft immer den Falschen, doch in diesem Fall hatte er den Falschesten der Falschen getroffen. » 220km/h«, dieser Song ist ihm und Rösler gewidmet.
    Im Wesentlichen bestand Zeitgeist aber aus Titeln, die für das gescheiterte Family-Affair-Album vorgesehen gewesen waren. Die Idee dazu hatte Sven Meisel gehabt, der mir eines Tages sagte: » Weißt du was? Wenn die nicht wollen, machen wir ein Joe-Rilla-Album draus.« Damit war Joe Rilla in der Welt. Im Gegensatz zu früher rappte ich komplett auf Deutsch und erregte mit dem Album einiges Aufsehen; es gab mediale Aktivitäten, ein cooles Video wurde gedreht, und nach dem Erfolg mit Analphabeten hatte ich mich jetzt auch als Joe Rilla etabliert. Kleine Randnotiz: Das Intro auf Zeitgeist hat Reinhard

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