So fühlt sich Leben an (German Edition)
weiß ich nicht, ob ich mich richtig entschieden habe. Das wird auf ewig ein Geheimnis bleiben. Aber dieses » hätte, hätte« geht mir nicht aus dem Kopf. Dieser Stachel sitzt mir im Fleisch. Und deshalb– weil’s so schön war– will ich noch schnell eine Begebenheit aus L. A. erzählen, bevor ich mit hängendem Kopf nach Berlin zurückkehre.
Downtown L. A. gibt es einen Stadtteil voller Juweliere. Nur Juweliere, und alles in jüdischer Hand. Timo wollte seiner Freundin einen Halbkaräter mitbringen, und weil Estevan ein paar Leute dort kannte, fuhren wir hin.
In der Eingangshalle des Wolkenkratzers, den wir betreten, stehen zwei Typen mit MP vor dem Fahrstuhl, was mich weniger verblüfft als die überlebensgroße Plüschstatue eines orthodoxen Juden mit Knollennase, Segelohren, Schläfenlocken und schwarzem Hut. Ein Comicjude als riesige Stoffpuppe zur Begrüßung– die Leute haben Humor, denke ich, und falle beinah ins Essen, als wir oben Estevans Bekannten treffen, den Besitzer einer Diamantenschleiferei, der sich als das haargenaue Ebenbild des Comicjuden da unten entpuppt. Der Typ ist leutselig und lustig, der lebende Beweis dafür, dass Witz in diesem Haus großgeschrieben wird, und führt uns als Erstes überall rum. Dass mein eigener Humor in Kürze auf eine harte Probe gestellt werden wird, ahne ich nicht.
Gut, wir stehen in einem Raum mit fünfzehn Schleifern, alle mit Mundschutz und jeder einen Berg Diamanten vor sich. Man reicht mir Lupe und Pinzette, damit ich einen Diamanten aus der Nähe betrachten kann, aber was sieht man als Laie da schon, der funkelt und glitzert halt. Außerdem habe ich Hunger, fahre also runter, esse auf der Straße ein Stück Pizza, fahre wieder hoch, und inzwischen hat Timo seinen Halbkaräter gekauft. Wir verabschieden uns, da sagt der Besitzer, ich solle einen Moment warten, er habe eine Überraschung für mich. Ich will kein Geschenk von einem Mann, der in Diamanten schwimmt, doch er besteht darauf, und drei Minuten später kommt er strahlend um die Ecke und drückt mir ein Holzkästchen in die Hand. Ich öffne es– und mich trifft der Schlag.
In dem Kästchen liegt ein Eisernes Kreuz. Ich gucke Estevan an, ich gucke Timo an, ich gucke den Besitzer an und weiß ums Verrecken nicht, was das soll. Was das zu bedeuten hat. Will er mich verarschen? Will er mir eins auswischen? Will er meine Reaktion testen? Dann kann ich nur sagen: Volltreffer. Komplette Irritation. Ich weiß nur: In meinem Kopf flimmert ein Schwarz-Weiß-Film mit Bildern von Deportation, Vergasung und Massenmord. Von einem Juden kann ich jedenfalls kein Eisernes Kreuz annehmen. Und dann merke ich, weil er mich erwartungsvoll anlächelt: Der hat sich gar nichts dabei gedacht. Der will einem Deutschen nur was Deutsches schenken.
» Leg es mal an«, sagt er. Ich schüttele den Kopf. » Ist nur ein Geschenk«, sagt er. » Nichts als ein Geschenk. Vergiss, was du weißt.«
Und Estevan: » Komm runter von deinem Trip. Auf euren deutschen Panzern habt ihr das Eiserne Kreuz doch heute noch drauf.«
Gut, gebe ich meinen Widerstand eben auf. Vielleicht ist es als eine Art Friedenspfeife gemeint. Ich bedanke mich. Aber der Moment, in dem ich das Kästchen öffne, steckt mir in den Knochen. In Amerika kann man vielleicht damit rumlaufen… Ich hab’s trotzdem nicht gemacht. Erst später, in Deutschland, konnte ich darüber lachen, aber vielleicht eher deswegen, weil ich beim jüdischen Humortest so jämmerlich versagt hatte.
Wobei nach Katrins Nein mein Humor natürlich sowieso arg strapaziert war.
Na ja, kurz und gut, nach acht Wochen war ich wieder in Berlin, in einer völlig anderen Welt, und todunglücklich. Ich habe Deutschland gehasst. Du gehst in einen Supermarkt und fragst Elvira, wo der Reibekäse liegt, und Elvira antwortet: » Weeß ick doch nich. Musste selber kieken«– und im selben Augenblick hast du die Schnauze schon wieder gestrichen voll und denkst: Ey, ich will nur Käse kaufen, ich will keinen Machtkampf mit der Verkäuferin ausfechten, wo bin ich gelandet, ich will hier raus… und in L. A. gehe ich durch einen Schuhladen, weil ich mir ein Paar meiner absoluten Lieblingsschuhe kaufen will, Nike 180, und gleich spricht mich einer an, ob er mir helfen kann. Klar, ja, den und den Schuh suche ich, und er nimmt mich mit in die richtige Abteilung und erzählt mir unterwegs die komplette Geschichte dieses Schuhs. » Es gab da einen bekannten Sportler, Bo Jackson, ein Baseballspieler, der
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