So fühlt sich Leben an (German Edition)
angeschossen, der seinen Rollstuhl mit dem Kinn manövrierte, aber extrem adrett gekleidet war, blaue Mütze, Karat-Hose und akkurat gebügeltes blaues Hemd– ein Gangster, wie er im Buche steht, aber eben im Rollstuhl. Was an seinem Stolz auf seine Gang nichts änderte. Alles klar, denke ich. Da fällt mir auf, dass ein Typ auf einem BMX -Rad ständig unser Auto umkreist.
» Bleib ruhig«, sage ich zu Timo, der schon den Knopf von der Zentralverriegelung gedrückt hat, lasse auf meiner Seite die Scheibe runter und brülle den Typ an, weil er auch mir tierisch auf die Nerven geht.
» What’s up?!«
Und der kriegt einen Heidenschreck. » It’s all good. It’s all good.«
» Perfect«, sage ich und lasse das Fenster wieder hoch.
» Rilla, du hast sie nicht mehr alle«, sagt Timo.
» Versetz dich doch mal in die rein«, sage ich. » Die wissen nicht, wer wir sind. Du hast rote Haare und siehst jüdisch aus, und ich könnte dein Bodyguard sein. Also…«
Der Typ auf dem Fahrrad ruft seinen Kumpeln an der Ecke was zu, und die blicken demonstrativ gelangweilt zur Seite.
» Na siehste, Timo.«
Ich fand’s natürlich lustig, Timo auf die Schippe zu nehmen. Am selben Abend kam ich auf die glorreiche Idee, mir eine Shopping Mall in Compton anzugucken. Timo sah sein Ende gekommen. Aber so, wie wir aussahen, eindeutig nicht nach Bullen und eindeutig nicht nach TUI … Ich machte mir jedenfalls nicht die geringsten Sorgen. » Dicker«, sage ich zu ihm, » an der Tür gibt es eine Regel, die du dir sehr früh hinter die Ohren schreiben solltest: Komm mit Respekt und geh mit Respekt. Und das versteht hier jeder, schau dich bloß um. Respekt ist eine universelle Sprache.« Wenn mich jemand gefragt hätte, warum ich durch diese Getto Mall laufe, als wär’s das Normalste von der Welt, hätte ich ihm geantwortet: weil ich interessiert bin. Weil ich von weit, weit her komme, nämlich aus Germany, und so was noch nie gesehen habe. Jeder hätte das verstanden. Vor einem Schuhladen stand einer und verkaufte seine CD s. Der kam derartig respektvoll auf dich als Kunden zu, dass du fast keine andere Wahl hattest, als ihm sein Werk für fünf Dollar abzukaufen. Ich war beeindruckt. Und niemand hat uns angesprochen. Niemand kam und sagte: » Who are you? What the fuck are you doing here?« Timo war regelrecht von den Socken, dass wir keinerlei Aufsehen erregten. » Dicker«, habe ich zu ihm gesagt, » zeigst du hier Angst, bist du dran. Und diese Einsicht kannst du auf alle Lebensbereiche übertragen.«
In diesen Tagen liefen überall in L. A. die Platten eines gewissen Jaheim, eines Soulsängers, der sich wie Marvin Gay anhört, und ich musste unbedingt was von dem haben. Stellen wir unseren Lincoln also vor einem Record Store ab, Timo bleibt sitzen, ich gehe rein, und hinter der Theke steht ein typisches hood chick. Eine aufgebrezelte, schwarze, wild gestikulierende, originale Compton-Braut mit Riesenohrringen, Locken wie Sprungfedern und einem Riesenarsch, aber Leggins. Ich komme zur Tür rein, und sie… na ja, ich weiß natürlich nicht, was sie gedacht hat, aber es sah aus wie: Jeeesus, mein erster Außerirdischer! Fragt mich aber ganz höflich, was sie für mich tun kann, und ich ordere die Jaheim-Platte, die natürlich auch in ihrem Laden läuft. Hast du vielleicht eine Wette verloren?, wird sie gedacht haben, denn Jaheim hätte ich überall kaufen können, egal, schon sind wir im Gespräch, und so, wie sie sich gibt, aufgekratzt vor Entzücken und heftig gestikulierend, keine Spur von Befremden, wirkt sie wie in den Rap-Videos, nur dass das hier die Wirklichkeit ist. Ich erzähle ihr, dass ich bei Joker bin, und sie flippt vor Begeisterung aus.
» Du hättest dabei sein sollen, Timo«, sage ich, als ich mit fünfzehn CD s im Arm wieder den Navigator besteige. » Wir dürfen jederzeit wiederkommen.«
Eine wunderbare Erfahrung. Wenn du Hip-Hop liebst, wenn du Rap liebst, wenn du diese Art liebst, diesen Lifestyle liebst, dann bis du dort genau richtig. Ich habe dann Jaheim in den CD -Wechsler reingehauen und bin den Crenshaw Boulevard wieder runtergefahren, zurück zu den Joker-Jungs. » Pass ein bisschen auf Timo auf«, hatte Estevan zu mir gesagt. Weil Timo der Zurückhaltendere von uns beiden war und seine Zurückhaltung ihm gern als Angst ausgelegt wurde.
22 | It Was All a Dream
Estevan schien einen Plan zu verfolgen. » Komm, begleite mich«, sagte er, und dann führte er mich hier ein und da ein und dort ein,
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