So fühlt sich Leben an (German Edition)
Joker, und so waren sie in Amerika auf mich aufmerksam geworden. » Wer ist der Typ hier auf der Seite?«, wollten sie wissen, und Timo hatte gesagt: » Ein Rapper aus Berlin, Deutschland. Gleichzeitig ein ziemlich erfolgreicher Produzent.« Und eines Nachmittags stand tatsächlich der große Estevan Oriol in meinem Studio im Hansa und fragte mich, was ich so mache.
» I make some beats.«
» Show me, what you have.«
Woraufhin ich ihm in fünf Minuten einen Beat baute, der ihn umwarf. Er ging rückwärts aus dem Studio raus und hat draußen erst mal drei Luftsprünge gemacht. So was hatte er noch nie erlebt, und dabei kam er aus dem Hip-Hop-Mekka der Westküste. Estevan war klar, dass nichts vorprogrammiert gewesen war, dass ich alles im selben Augenblick aus dem Ärmel geschüttelt hatte, und eigentlich war er nur auf ein Stündchen bei mir eingerichtet, weil er gerade einen Film über die digitale Revolution in Europa drehte, doch als er wieder reinkam, strahlte er mich an und sagte: » Du musst unbedingt nach Amerika kommen. Wir holen dich nach L. A.«
» Was hast du denn mit dem gemacht?«, wollte Timo hinterher von mir wissen.
» Na«, habe ich gesagt, » wenn bei mir plötzlich ein Amerikaner in der Tür steht, gebe ich natürlich alles.«
Jedenfalls hieß es danach in Los Angeles: das deutsche Wunderkind, und ich war eingeladen. Dabei war ich gar kein Westcoastfan, was den Rap betraf. Mir sagte der Rap aus New York, aus der Bronx, aus Harlem mehr zu. Aber da es mich nichts kosten sollte, habe ich eingewilligt und war wieder mal stolz wie Bolle.
Ich muss an dieser Stelle einfügen: Damals, 2005, war ich produktionstechnisch schon ganz weit vorn. Ich hatte bei Hansa bereits Remixe für Aggro Berlin gemacht, und Aggro war in Deutschland das größte Hip-Hop-Label überhaupt, die absolute Nummer eins: Die hatten Künstler wie B-Tight und Fler unter Vertrag und feierten gerade Megaerfolge mit Sido. Mit anderen Worten: Im Hip-Hop-Bereich konnte man mich locker unter die besten Zehn in Deutschland rechnen, und als ich nach vierzehn Stunden Flug in Los Angeles landete, wurde ich von Joker am Flughafen abgeholt und wie ein Superstar in die Stadt zur Joker-Zentrale eskortiert. Dann wurde mir erst mal das Joker-Imperium gezeigt, der Showroom von Joker Brand, die Studios von Joker Brand und die Garage von Joker Brand, wo sie Chevy Impalas zu Low Riders umbauten, wo also Amischlitten der Sechziger- und Siebzigerjahre das Hüpfen beigebracht wurde, und mit einem Schlag war ich im Herzen des Hip-Hop angekommen. Wahnsinn. Die Chefs von Joker haben mir die Schlüssel ihrer Autos in die Hand gedrückt und gesagt: » Fahr, wohin du willst«, und ich bin gefahren, wohin ich wollte. In die Stadt. Über die Highways. Nach Downtown. Arm aus dem Fenster und gucken wie ein Gangster…
Das Verrückte in Amerika war: Keiner konnte mich einordnen. Ich sah für sie irgendwie russisch aus, jedenfalls anders, und alle hatten für mein Gefühl einen höllischen Respekt vor mir. Ich war halt etwas größer, etwas breiter, etwas tätowierter, und wenn ich die Sonnenbrille aufsetzte, dachten die Amis: Was ist das denn für ein Typ? Sieht ganz schön mies aus, der Kerl. In L. A. kam mir das sehr zugute.
Timo war mit von der Partie, und eines Tage sage ich zu ihm:
» Timo, ich möchte nach Compton. Ich möchte den Crenshaw Boulevard hoch- und runterfahren.« Den kannte ich durch NWA und Dr. Dre.
» Hast du sie noch alle?«, sagt Timo. » Das ist Getto. Da fährst du rein und kommst splitternackt wieder raus.«
» Quatsch«, sage ich. » Ich will dahin. Ich muss das sehen.«
Sind wir dahin gefahren, sind tatsächlich mit unserem Lincoln Navigator den Crenshaw Boulevard hoch, und Timo hatte eine Heidenangst. Ich weiß noch, es war früher Abend, die Zeit, in der die Gangster vor die Tür treten, und ich fand’s nur geil. » Ehrlich, Alter«, sage ich zu Timo, » hier kommt doch keiner und hält uns ’ne Knarre an den Kopp. Wir sehen nicht so aus, als würden wir einer Gang angehören, und wie Touristen sehen wir genauso wenig aus. Also, Ruhe bewahren.« Und an den Straßenecken hingen die hood boys rum, Gangmitglieder, die man an ihren Farben erkennt. Wir hielten an einer roten Ampel an.
Die an der nächsten Ecke trugen Blau, waren also Crips. Bloods tragen Rot. Sensationell, das mit eigenen Augen zu sehen. Ich kannte solche Bilder nur aus Rap-Videos, und jetzt war ich mittendrin. Der Krasseste war ein Querschnittsgelähmter, wohl
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