So fühlt sich Leben an (German Edition)
stellte mir diesen vor, präsentierte mir jenen, nahm mich hierhin und dorthin mit, und laufend machte ich mit Orten und Menschen Bekanntschaft, die ich normalerweise nie zu Gesicht bekommen hätte. » Ich fahre kurz rüber ins Studio, wo die DVD s produziert werden, ich will da ein paar Jungs treffen. Hast du Bock mitzukommen?«, hieß es gleich in den ersten Tagen. Na klar, nichts wie hin. Ich kannte nur Musikstudios, und Videoproduktionen dieser Größenordnung waren in Europa sowieso unbekannt.
Gut, wir fuhren los, und schon die Fahrt war nicht zu überbieten– Sonnenuntergang, Palmen, schöne Menschen, alles zieht wie ein Film an dir vorbei, und du sitzt in einem Chevrolet Impala, Arm raus, Musik aufgedreht, die frische Abendbrise um die Nase… wow.
L. A.
Amerika…
Estevan hatte mit keinem Wort verlauten lassen, was uns erwartete. Er stellte den Impala vor einem Fabrikgebäudekomplex ab, der, wie sich herausstellte, voller Videoproduktionsfirmen, Schnittplätze und Aufnahmestudios war. Wie üblich hatte er für die Rezeption nur ein kurzes » Hi« übrig und lief gleich durch– er war hier zu Hause, er schien fast überall zu Hause zu sein–, öffnete eine Tür, und ich stand vor den Jungs von Blink 182. Ich fand es total surreal. Da saß Travis Barker, einer der grandiosesten Schlagzeuger unserer Tage, und winkte kurz herüber. Nur nichts anmerken lassen, war ja normal hier, und außerdem: Wer mit Estevan kam, der musste cool sein, der gehörte dazu, also bloß lässig Hallo gesagt und diese Helden so nebenbei gefragt, was sie da gerade machen. In diesem Fall nahmen die Jungs von Blink182 das Master ihrer Life- DVD ab und waren dabei natürlich genauso wahnsinnig unaufgeregt wie alle hier.
Als ich später mit Estevan zum Essen fuhr, habe ich ihn gefragt: » Was für einen Trip veranstaltest du eigentlich hier mit mir? Mir kommt’s vor wie im Film.« Alles halb so wild, meinte er. » Viel Show, mach dir nichts draus. Wir sind eine Vergrößerungsmaschine. In Wirklichkeit ist alles viel entspannter.« Und so verlief auch unser Mittagessen, völlig entspannt, wie unter Freunden. Im Übrigen war ich sein Gast. Volle zwei Monate lang.
Solche Erlebnisse hatte ich in dieser Stadt hintereinander weg, pausenlos. Ob das Blink182 oder Cypress Hill waren, Everlast oder Game, es wimmelte vor Musikgrößen, überall stellte mich Estevan als » the german Wunderkind« vor, und nach Ablauf von vier Wochen fragte er mich, ob ich nicht bleiben wolle. Auf unabsehbare Zeit. Ich könne mir im Joker-Komplex mein Studio einrichten. Weil da die Superstars eh ein- und ausgehen…
» Wäre doch cool für dich, oder?«
» Äußerst cool«, sagte ich.
Und meinte damit: Wahnsinn. Wahnsinn. Wahnsinn. Das sind die Sterne. Das ist vielleicht sogar schon der Schritt darüber hinaus ins unsichtbare Universum der Träume. Da kannst du eben nicht mehr mit dem Finger drauf zeigen. Und da bist du jetzt gelandet. Da wollen sie dich haben. Da gehörst du hin. Vergiss das Hansa. Vergiss Berlin. Vergiss Deutschland. Mir war, als hätte Estevan in diesem Augenblick alles weggesprengt, was an Mauern um mich herum aufragte. Vor mir lag das Paradies, ich brauchte nur einzutreten. Ein Schritt, und ich wäre drin. Und dann reicht ein Anruf in Deutschland, um alle Träume zu zerschlagen.
Ich fragte Katrin, was sie davon hält, nach Amerika zu gehen. Und sie hielt überhaupt nichts davon.
» Spinnst du?«
» Nee, das wäre mein Traum.«
» Meiner nicht.«
» Dann lass uns wenigstens für ein Jahr rübergehen. Einen Kindergarten für Timea werden wir schon finden. Sie würde Englisch lernen. Wär doch geil.«
Nicht für Katrin. Ich rannte gegen eine Mauer. Und musste den Jokerleuten sagen: » Nee, is nicht.«
Denen hat das imponiert. Der sagt zu diesem Angebot Nein? Der ist ja irre. Der ist ja noch irrsinniger, als wir geglaubt haben.
Ich war fürchterlich sauer. Ich hatte kein Verständnis für Katrins Haltung. Das war die Chance, auf die ich mein Leben lang gewartet hatte, und ich wusste, dass ich’s könnte. Estevan wusste es auch. Und dann… ein Telefonat, und mein Traum war Geschichte. Ich habe lange mit mir gerungen, ob ich nicht einfach in L. A. bleiben soll. Mein Vertrauen zu Katrin war erschüttert. Aber ich war nun mal nicht nur Rapper. Ich war auch Vater. Ich konnte nicht mehr für mich allein entscheiden. Gut, habe ich gedacht, dann soll’s halt nicht sein, und an die ersten vier Wochen vier weitere drangehängt.
Bis heute
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