So gut wie tot
früher als gewöhnlich Feierabend machen, da es sein Hochzeitstag war und er seiner Frau Tracy geschworen hatte, pünktlich zu Hause zu sein.
Er setzte sich an den Schreibtisch und überflog auf dem Bildschirm die Meldungen, die in den vergangenen Stunden für seinen Bereich eingegangen waren, doch gab es nichts, das dringendes Eingreifen erforderte. Es handelte sich meist um die üblichen Bagatelldelikte, alle waren unverzüglich nachverfolgt worden.
Dann erinnerte er sich an den Anruf von Roy Grace, schlug sein Notizbuch auf und las den Namen und die Adresse darin. Beim Hereinkommen hatte er gesehen, dass Sergeant John Morley im Büro war. Er rief ihn an und bat, jemanden aus dem Team bei der Frau vorbeizuschicken.
Morley klemmte sich den Hörer ans Ohr, legte ein Lesezeichen in die Akte, die er gerade prüfte, und notierte Namen und Anschrift von Katherine Jennings auf einem Zettel.
Der Sergeant war jung und aufgeweckt und wirkte mit seinem militärischen Kurzhaarschnitt und der schusssicheren Weste härter als er eigentlich war. Wie alle seine Kollegen war er überarbeitet und gestresst, da sie viel zu wenig Personal hatten.
»Natürlich kann es auch an diesem Idioten Spinella gelegen haben, dass sie aufgeregt war«, gab er zu bedenken. »Ich rege mich auch immer über ihn auf.«
»Wem sagen Sie das!«, pflichtete Curry ihm bei.
Wenige Minuten später klingelte Morleys Telefon erneut. Der Anruf kam von der Einsatzzentrale und meldete einen Notfall der Dringlichkeitsstufe 1. Ein achtjähriges Mädchen war am Nachmittag nicht von der Schule nach Hause gekommen.
Jetzt musste es schnell gehen. Zunächst verständigte Morley über Funk den diensthabenden Inspektor und gab dann seinem Team, das in der ganzen Stadt verstreut war, telefonisch Anweisungen. Unterdessen rannte er in den Raum, in dem die Ausrüstung untergebracht war, und holte seine Dienstmütze.
Dann schnappte er sich zwei Kollegen, die zeitig zum Nachmittagsdienst eingetroffen waren, und begab sich im Laufschritt zur Tür, während er noch immer telefonierte.
Als sie zu dritt an seinem Schreibtisch vorbeieilten, ergriff ein Luftzug den Zettel mit Katherine Jennings’ Namen und ließ ihn zu Boden flattern.
Zehn Minuten später betrat eine Sekretärin den Raum und legte einige Unterlagen auf Morleys Schreibtisch. Im Gehen hob sie den Zettel vom Boden auf und warf ihn in den Papierkorb.
74
OKTOBER 2007 Die frische Luft und das fettige Frühstück hatten den Kater besiegt, und Roy Grace fühlte sich fast wieder menschlich, als er durch die Church Street zurück zum Parkhaus ging.
Er steckte den Parkschein in den Automaten und zuckte wie immer zusammen, als er den Betrag im Display las. Während er sich zu seinem Auto begab, dachte er über Terry Biglow nach.
Vielleicht wurde er auf seine alten Tage weich, doch der Mann tat ihm tatsächlich ein bisschen leid – anders als sein widerlicher Begleiter. Biglow hatte früher irgendwie Stil gehabt und war vermutlich der letzte Ganove in einer Generation, die die Polizei noch respektiert hatten.
Das arme Schwein sah aus, als wäre es nicht mehr lange von dieser Welt. Was mochte ein Mann wie Terry denken, wenn er sich dem Ende seines Lebens näherte? Belastete ihn das Wissen, sein Leben verschwendet und der Welt nichts gegeben zu haben? Dass er das Leben anderer zerstört hatte und letztlich mit leeren Händen dastand? Er hatte alles verloren, auch seine Gesundheit.
Grace schloss den Wagen auf, stieg ein und überflog die Notizen, die er sich beim Gespräch mit Biglow gemacht hatte. Dann rief er Glenn Branson an und berichtete, dass Ronnie eine zweite Ehefrau namens Lorraine gehabt hatte. Er wies den Kollegen an, gemeinsam mit Bella Moy die Klingers zu befragen. Da Stephen Klinger ein großes Antiquitätengeschäft in Brighton besaß, dürfte er nicht schwer zu finden sein.
In dem Moment klingelte sein Handy. Es war Cleo.
»Was macht der Kater, Detective Superintendent Grace?«
Seltsam, dachte er, Sandy hatte ihn immer nur Grace genannt, und auch Cleo sprach ihn gern beim Nachnamen an. Für ihn hatte es etwas Liebenswertes.
»Kater? Woher weißt du das denn schon wieder?«
»Weil du mich gestern Abend gegen halb zwölf aus dem Pub angerufen und mir mit nuschelnder Stimme ewige Liebe geschworen hast.«
»Habe ich das?«
»Aha, Gedächtnisverlust. Das muss eine wirklich schlimme Sause gewesen sein.«
»Und ob. Fünf Stunden lang nur Eheprobleme von Glenn Branson. Das treibt jeden Mann in den
Weitere Kostenlose Bücher