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So gut wie tot

Titel: So gut wie tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter James
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Typ, hatte erklärt, der Wagen sei vermutlich bei einem Verbrechen eingesetzt und danach im Fluss entsorgt worden. Der Täter habe nicht damit gerechnet, dass der Wasserstand so niedrig werden könnte.
    Eine Fliege landete auf ihrer Wange. Sie schlug danach, doch das Tier war zu schnell. Fliegen hatten ein anderes Zeitempfinden, hatte MJ ihr einmal erzählt. Was für einen Menschen eine Sekunde war, waren zehn für eine Fliege. Sie erlebte quasi alles in Zeitlupe und konnte sich in Ruhe davonmachen.
    MJ kannte sich richtig gut mit Fliegen aus. Kein Wunder, wenn man in Melbourne lebte und gern in den Busch fuhr. Dort wurde man, ehe man sich’s versah, zum Experten für diese Tiere. Nachdem sie von ihm erfahren hatte, dass Fliegen ihre Eier in Mist legten, hatte sie beschlossen, nie wieder etwas zu essen, auf dem eine Fliege gesessen hatte.
    Lisa betrachtete das weiße Polizeiauto mit dem blau-weiß karierten Streifen und den weißen Bus, beide mit Blau- und Rotlicht auf dem Dach. Zwei Polizeitaucher in Neoprenanzügen standen mit Flossen und Tauchermasken am Flussufer und schauten zu, wie die straff gespannte stählerne Trosse allmählich aus dem Wasser auftauchte.
    Fliegen waren durchaus nützliche Tiere. Sie sorgten dafür, dass Kadaver verschwanden, tote Vögel, Kaninchen, Kängurus und auch Menschen. Die kleinen Helfer von Mutter Natur. Leider hatten sie lausige Tischmanieren. Beispielsweise kotzten sie auf ihr Essen, bevor sie es fraßen. Genau die Gäste, die man sich gern zum Essen einlädt, dachte Lisa.
    Ihr lief der Schweiß übers Gesicht. MJ hatte einen Arm um sie gelegt, in der anderen Hand hielt er eine Wasserflasche, aus der sie abwechselnd tranken. Lisas Arm war um seine Hüfte geschlungen, ihre Finger steckten in seinem Hosenbund. Auch sein T-Shirt war durchnässt. Fliegen tranken gern menschlichen Schweiß, noch eine seiner goldenen Weisheiten. Schweiß enthielt zwar wenig Eiweiß, dafür aber wichtige Mineralien. Menschlicher Schweiß war für Fliegen das Gegenstück zu einem schicken Perrier oder San Pellegrino.
    Plötzlich erschienen lauter Wirbel im Fluss. Es sah aus, als kochte das Wasser. Blasen zerplatzten an der Oberfläche und wurden zu Schaum. Der größere Polizeibeamte gab wilde Anweisungen, die Lisa ziemlich unnötig erschienen, da alle Helfer durchaus fähig wirkten. Er war Anfang vierzig, mit Bürstenschnitt und Raubvogelnase. Er und sein jüngerer Kollege trugen Uniformhemden mit offenem Kragen und Epauletten, auf deren Ärmeln das Wappen der Polizei von Victoria aufgenäht war, dazu dunkelblaue Hosen und festes Schuhwerk. Auch an ihnen hatten die Fliegen ihren Spaß.
    Lisa sah zu, wie das Heck einer dunkelgrünen Limousine aus dem Wasser auftauchte. Sie hörte das Dröhnen der Winde und das Wummern des Motors. Das Kennzeichen lautete OPH 010, darunter stand: VICTORIA – THE PLACE TO BE.
    Wie lange mochte das Auto im Wasser gelegen haben?
    Sie verstand nicht viel von Autos, erkannte aber, dass es sich um einen Ford Falcon älteren Baujahrs handelte. Sie schätzte ihn auf fünf bis zehn Jahre. Als Nächstes tauchten Heckscheibe und Dach aus dem Wasser auf. Der Lack schimmerte nass, das Chrom war verrostet. Die Reifen waren beinahe platt und klatschten auf den sandigen Boden, als der Wagen über den steilen Hang gezogen wurde. Durch die Türschlitze und Radkästen stürzte Wasser.
    Ein unheimlicher Anblick.
    Nach einigen Minuten stand der Wagen auf ebener Erde. Die schwarzen Reifen sahen aus wie dicke Bäuche. Der Fahrer des Abschleppwagens kniete unter der Heckklappe des Fords und hakte die Trosse aus. Das Knirschen der Winde war verstummt, der Motor des Abschleppwagens abgeschaltet. Man hörte nur das Wasser aus dem Auto tropfen.
    Die beiden Polizisten gingen um den Wagen herum und spähten durch die Fenster hinein. Der Größere hatte die Hand an der Waffe, als rechnete er damit, dass ihn jemand aus dem Wageninneren anspringen könnte. Der Kleinere wedelte die Fliegen weg. In der Stille ertönte der Ruf eines Laubenvogels.
    Dann drückte der größere Polizist den Knopf, mit dem man den Kofferraum öffnen konnte. Nichts passierte. Er versuchte es noch einmal und stützte sich gleichzeitig auf die Klappe. Mit einem schrillen Kreischen hob sie sich ein Stück in den verrosteten Scharnieren. Er drückte sie ganz nach oben.
    Er wich abrupt zurück, hatte den Inhalt gerochen, bevor er ihn sah.
    »Scheiße«, sagte er und wandte sich würgend ab.
    29
    OKTOBER 2007 Grau war die Grundfarbe

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