So gut wie tot
ein Opfer von Eddie Biglow befragt hatte. Eine Glasscherbe hatte lange, gezackte Risse auf den Wangen des Mannes hinterlassen. Er hatte es gewagt, sich zu beklagen, als Biglow sich in einer Kneipe an der Theke vordrängte.
»Ja, ich erinnere mich an ihn.«
»Übrigens habe ich auch ein bisschen Krebs.«
»Tut mir leid«, sagte Grace.
»Im Bauch, Sie wissen schon.«
»Schlimm?«
Biglow zuckte die Achseln, als wäre es nur eine Bagatelle. Doch Grace las die Angst in seinen Augen.
Jimmy nickte schwermütig und nahm noch einen Schluck. »Keine Ahnung, wer sich um mich kümmern soll, wenn er nicht mehr da ist«, jammerte er. »Ich brauche Schutz.«
Grace hob gleichgültig die Augenbrauen, nahm von der Kellnerin seine Cola entgegen und trank durstig. »Du und Ronnie Wilson wart doch befreundet, oder?«
»Ja, früher mal«, erwiderte Terry.
»Bevor du in den Knast gegangen bist?«
»Genau. Hab alles für ihn getan.« Er schüttete Zucker in seinen Tee und rührte mit wehmütiger Miene. »Hab die ganze Schuld auf mich genommen.«
»Kanntest du seine Frau?«
»Beide.«
»Beide?«, fragte Grace überrascht.
»Erst Joanna, dann Lorraine.«
»Wann hat er wieder geheiratet?«
Terry kratzte sich am Hinterkopf. »Mensch, das muss ein paar Jahre, nachdem Joanna ihn verlassen hatte, gewesen sein. Die war vielleicht ein Rasseweib! Aber ich mochte sie nicht besonders. Typische Goldgräberin, das war sie. Hat sich an Ronnie gehängt, weil er cool war. Hat aber nicht kapiert, dass er kaum Geld hatte.« Er tippte sich an die Nase. »Schlechter Geschäftsmann. Schwang immer große Reden, hatte große Pläne. Aber ihm fehlte der richtige Riecher, bei ihm wurde nichts zu Gold. Sowie Joanna das geschnallt hatte, hat sie sich verdrückt.«
»Wohin?«
»Los Angeles. Ihre Mutter war gestorben, und sie hatte ein bisschen was vom Hausverkauf geerbt. Eines Morgens wurde Ronnie wach, und sie war weg. Hatte nur einen Zettel hinterlassen. Wollte drüben als Schauspielerin Karriere machen.«
Das Essen kam. Terry schüttete reichlich Essig über seine Pommes und den halben Salzstreuer obendrein. Grace gab etwas braune Soße auf seinen Teller und griff nach dem tomatenförmigen Ketchupspender. »Zu wem hatte sie noch Kontakt, nachdem sie nach Los Angeles gegangen war?«
Biglow zuckte die Achseln und spießte eine Pommes auf. »Zu keinem, denke ich. Sie war hier nicht sehr beliebt. Bei keinem von uns. Meine bessere Hälfte konnte sie nicht ab. Und sie wollte sich auch gar nicht mit uns anfreunden.«
»Stammte sie aus der Gegend?«
»Nee, aus London. Ronnie hatte sie in irgendeinem Lap-Dance- Schuppen aufgegabelt.«
Die nächste Pommes landete auf der Gabel.
»Was ist mit seiner zweiten Frau?«
»Lorraine? Die war in Ordnung. Sah auch gut aus. Hat eine Weile gedauert, bis sie geheiratet haben. Mussten zwei Jahre warten, bis die Scheidung von Joanna durch war. Sie hatte ihn ja einfach sitzen lassen.«
Wie sollte jemand Scheidungspapiere unterzeichnen, der in einem Abflusskanal vor sich hin faulte?, dachte Grace.
»Wo finde ich Lorraine?«
Biglow schaute ihn seltsam an.
»Ich brauche jemanden, der sich um mich kümmert, Mr Grace«, klagte Jimmy.
Biglow wandte sich an seinen Freund und deutete auf sein Gesicht. »Siehst du, wie sich meine Lippen bewegen? Das heißt, ich rede noch, also halt die Klappe.« Er wandte sich wieder an Grace. »Lorraine. Hm, falls Sie die finden wollen, müssen Sie schon ein Boot mieten und sich einen Taucheranzug besorgen. Ist eines Abends von der Fähre Newhaven-Dieppe gesprungen.«
Plötzlich verlor Grace jegliches Interesse an seinem Essen. »Erzähl mal.«
»Sie hatte Depressionen, war in einer fürchterlichen Verfassung, nachdem Ronnie gestorben war. Hatte sie in der Scheiße sitzen lassen, finanziell meine ich. Die Hypothekenfirma hat das Haus beschlagnahmt, die haben ihr alles weggenommen bis auf ein paar Briefmarken.«
»Briefmarken?«
»Ja, Ronnies Spezialität. Hat ständig damit gehandelt. Er sagte mal, sie wären ihm lieber als Bargeld, irgendwie handlicher.«
Grace überlegte kurz. »Ich habe mal gelesen, dass die Angehörigen der Opfer vom 11. September hohen Schadenersatz erhalten haben. Lorraine auch?«
»Wenn ja, hat sie es nie erwähnt. Sie brach alle Kontakte ab, wurde zur Einsiedlerin. Als sie ihr das Haus wegnahmen, ist sie in eine kleine Mietwohnung in der Montpelier Road gezogen.«
»Wann ist sie gestorben?«
Terry dachte kurz nach. »Moment, das war im November. Der 11.
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