So gut wie tot
Wiederholungen, George W. Bush, der dem Terror den Krieg ansagte, und Kommentare internationaler Politiker. Bilder feiernder Menschen in Pakistan, die auf den Straßen umhersprangen, lachten und voller Stolz Spruchbänder mit derben anti-amerikanischen Parolen schwenkten.
Eigentlich war Ronnie ganz zufrieden mit sich. Die Müdigkeit war verschwunden, er fühlte sich wie im Rausch. Er hatte etwas Tapferes getan, war an die Front gegangen und unversehrt zurückgekehrt. Er ritt auf einer Welle der Euphorie!
Er griff nach der Tüte mit seinen alten Kleidern und stopfte sie draußen auf der Straße in einen stinkenden Mülleimer, der mit faulenden Essensresten gefüllt war. Dann machte er sich mit beschwingten Schritten auf zur MOSCOW BAR.
Sie war genauso leer wie am Vortag, doch zu seiner Freude saß sein neuer bester Freund Boris auf demselben Hocker, Zigarette in der Hand, Handy am Ohr, vor sich eine halbe Flasche Wodka. Nur trug er diesmal ein anderes T-Shirt. Rosa mit goldener Aufschrift, Genesis World Tour.
Der Hänfling stand auch wieder hinter der Theke und trocknete Gläser ab. Er nickte Ronnie zur Begrüßung zu.
»Sie wieder da«, bemerkte er in gebrochenem Englisch. »Dachte schon, wollten helfen.« Er deutete auf den Fernseher. »Brauchen Freiwillige. Brauchen Leute, die Leichen ausgraben. Dachte, Sie dabei.«
»Mal sehen«, sagte Ronnie. »Vielleicht mache ich das auch.« Er setzte sich auf den Hocker neben seinem Freund und wartete, bis dieser sein Telefonat beendet hatte, bei dem es um etwas Geschäftliches zu gehen schien. Dann klopfte er ihm auf den Rücken. »Hallo, Boris, wie geht’s?«
Boris klopfte zurück, dass Ronnies Zahnfüllungen vibrierten. »Mein Freund! Wie geht’s dir? Hast du das Haus gefunden? Alles okay?«
»Bestens.« Ronnie beugte sich vor und kratzte einen hartnäckig juckenden Stich an seinem Knöchel. »Einfach super. Vielen Dank.« »Gut. Für meinen Freund aus Kanada tu ich alles.« Wie auf Kommando stellte der Barkeeper ein Glas hin, das Boris umgehend bis zum Rand füllte.
Ronnie nahm es elegant zwischen Zeigefinger und Daumen und hob es an die Lippen. »Carpe diem!«
Der Wodka tat gut. Er schmeckte nach Zitrone, was ihm sehr gefiel. Der zweite trank sich noch besser.
Der Russe drohte mit dem Finger, hob das Glas und grinste mit seinen Trümmerzähnen. »Weißt du noch, was ich dir gestern gesagt habe, mein Freund?« »Nein, was denn?«
»Wenn man in Russland anstößt, trinkt man das Glas aus. Auf einen Zug. So!« Boris kippte seinen Wodka hinunter.
*
Zwei Stunden später hatten sie immer wildere Geschichten über ihr Leben ausgetauscht, und Ronnie konnte sich kaum noch auf dem Barhocker halten, weil sich die Welt um ihn drehte. Boris schien in alle möglichen zwielichtigen Aktivitäten verwickelt, die vom Import billiger Parfüm-Imitate bis zur Fälschung von Green Cards für russische Einwanderer reichten. Außerdem arbeitete er als eine Art Vermittler für russische Huren, die in Amerika Arbeit suchten. Er sei aber kein Zuhälter, versicherte er Ronnie, nie und nimmer.
Plötzlich legte er einen Arm um Ronnie und sagte: »Mein Freund, ich weiß, du steckst in Schwierigkeiten. Ich helfe dir! Es gibt nichts, wobei ich dir nicht helfen könnte!«
Zu seinem Entsetzen bemerkte Ronnie, dass Boris erneut die Gläser füllte. Das Fernsehbild verschwamm vor seinen Augen. Konnte er diesem Mann vertrauen? Nun ja, irgendjemandem musste er vertrauen, und obwohl sein Gehirn nicht ganz so funktionierte, wie es sollte, schien Boris niemand zu sein, der die Moralkeule schwang.
»Du könntest mir wirklich einen Gefallen tun.«
Der Russe klebte mit den Augen am Fernseher, wo gerade Bürgermeister Giuliani sprach.
»Meinem kanadischen Freund tu ich jeden Gefallen. Worum geht es?«
Ronnie setzte die Baseballkappe ab, beugte sich vor und flüsterte: »Kennst du jemanden, der mir einen neuen Pass beschaffen könnte – und ein Visum?«
Der Russe bedachte ihn mit einem strengen Blick. »Was glaubst du, wo du hier bist? In einer Botschaft? Das ist eine Kneipe, Mann.«
Die heftige Entgegnung beunruhigte Ronnie, doch dann grinste der Russe von einem Ohr zum anderen.
»Pass und Visum. Natürlich. Keine Sorge. Was immer du brauchst, ich kriege es hin. Du brauchst einen Pass, ein Visum, kein Problem. Ich habe einen Freund, der das regelt. Er kann alles regeln. Hauptsache, du hast Geld.«
»Wie viel Geld?«
»Kommt drauf an, wie schwierig das Visum ist. Ich gebe dir seinen
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