So heiß wie der Wuestenwind
auf. „Wenn du nicht glaubst, dass du es ihr schuldig bist oder dir selbst, dann bist du es aber auf jeden Fall deinen Untertanen schuldig. Das Motto lautet: vergeben und vergessen, oder du wirst nicht der König sein, den sie verdient haben. Ändere deine Einstellung. Versuch es. Du wirst feststellen, dass es die beste Entscheidung deines Lebens war, Vorurteilen und Verbitterung Lebewohl zu sagen.“
„Vorsicht, ya akhi . Du könntest eines Tages an einer Überdosis Optimismus sterben.“
„Besser als an einer Überdosis Pessimismus. Dann hatte ich auf jeden Fall das schönere Leben. Denk mal darüber nach.“
Verärgert biss Kamal die Zähne aufeinander. „Ja, älterer Bruder. Wo stünde ich nur ohne deine großen Weisheiten? Ich danke dir von ganzem Herzen für deine unbezahlbaren Ratschläge.“
Shehab vergewisserte sich blitzschnell, dass niemand in der Nähe war, dann verpasste er seinem Bruder eine Kopfnuss.
Kamal war drauf und dran, sich auf ihn zu stürzen, aber Shehab verbeugte sich tief und wandte sich dann in aller Seelenruhe zum Gehen. „Gern geschehen … ya maolai .“
5. KAPITEL
„Also sind wir so etwas wie Schwestern.“
Prüfend musterte Aliyah die junge Frau, die so ehrlich und umwerfend lächeln konnte.
Mit ihren Haaren, deren Farbe zwischen Bronze-und Goldtönen changierte, und ihren smaragdgrünen Augen war Farah auf unkonventionelle Weise schön. Auch das hatten sie gemeinsam – wobei Aliyah sich durchaus selbstkritisch sah.
Sie selbst fand sich gar nicht so umwerfend. Aber gerade in der westlichen Welt kam ihr leicht exotisches Aussehen sehr gut an – in den Medien und in der Werbung. Man hatte ihr viel Geld dafür gezahlt, dass sie ihr Gesicht für Werbekampagnen zur Verfügung stellte. So viel Geld, dass sie die Macht und das Geld ihrer Familie nicht brauchte und trotzdem noch einige wohltätige Organisationen unterstützen konnte.
Auch Farah sah man an, dass sie von verschiedenen Völkergruppen abstammte. Hatte Anna sie wegen dieses Aussehens ausgewählt? Weil sie sie an das Mädchen erinnerte, das sie zur Adoption freigegeben hatte?
„Wir haben beide in letzter Zeit viel erlebt“, sagte Farah. „Vorher habe ich einfach so vor mich hin gelebt und nichts Großes erwartet. Und dann war da plötzlich Shehab. Und als ob das nicht schon großartig genug gewesen wäre, kam jetzt noch der Adoptions-Kuddelmuddel, und plötzlich habe ich eine große Familie, was ich mir immer gewünscht hatte.
Nicht nur, dass ich jetzt eine Schwester habe, die auch noch meine Schwägerin wird – obendrein bist du wie ich Amerikanerin, na ja, Halb-Amerikanerin, und in meinem Alter und lebst mit mir im selben Palast.“
„Wobei das trotzdem eine Entfernung von über einem Kilometer bedeutet, weil der Palast so riesig ist.“
Farah lachte. „Stimmt. Rein zufällig werden wir uns wohl eher selten über den Weg laufen.“
Aliyah lächelte zustimmend, aber in ihr krampfte sich alles zusammen. Mein Aufenthalt hier wird begrenzt sein, dachte sie. Ein Jahr vielleicht. Sobald ich Kamal einen Erben geschenkt habe, werde ich abserviert. Und wenn ich kein Kind bekomme, dann erst recht. Da geht es Farah in ihrer Ehe ganz anders. Sie und Shehab lieben sich wirklich.
Sie war froh, dass sie diese Gedanken für sich behielt. Farah wirkte so glücklich. Warum sollte sie ihr die Laune verderben?
„Wir haben uns so viel zu erzählen“, sagte Farah, „dass die Zeit vor der Hochzeit sicher nicht dafür ausreicht. Aber das holen wir anschließend alles nach, wenn du dich hier ein bisschen eingelebt hast.“
Ja, Farah dachte natürlich, dass sie, Aliyah, und Kamal genauso glücklich wären wie sie selbst und Shehab. Der Name passte wirklich zu ihr: Farah, die Freude. Und warum sollte sie auch nicht strahlen vor Glück? Sie war mit einem Al-Masud-Prinzen verheiratet, der sie auf Händen trug, und die Art und Weise, wie sie immer wieder ihren Bauch streichelte, verriet, dass sie schwanger war. Nun kam für sie noch das Glück hinzu, eine Schwester gefunden zu haben.
Es war nicht so, dass Aliyah ihr all dieses Glück nicht gönnte, im Gegenteil. Farah war so offen und ehrlich, dass sie sich freute, sie kennengelernt zu haben. Trotzdem empfand sie diese überschäumende Fröhlichkeit in der Situation, in der sie sich befand, als bedrückend.
„Mutter meinte, du könntest bei den Hochzeitsvorbereitungen meine Hilfe brauchen“, sagte Farah. „Hiermit melde ich mich zum Dienst und stehe voll und ganz zu
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